"Ich möchte homosexuelles Öl kaufen"

Anfängliche Verständigungsprobleme

 

Schon lange habe ich mich nicht mehr so hilflos gefühlt. Zu viert sitzen wir in der noch fast leeren Wohnung, gestikulieren mit Händen und Füßen, doch so richtig verständigen können wir uns nicht. D. und F. sprechen Kurdisch, Arabisch und Türkisch, Rainer und ich Deutsch und Englisch, mit Mühe vielleicht noch ein paar Brocken Französisch. Leider helfen uns alle sechs Sprachen nicht weiter.

 

Dabei gibt es so viel Wichtiges zu klären. Gestern sind die beiden mit ihren drei Kindern nach Osterode gekommen, wurden im Sozialamt abgeliefert, dort registriert und dann mehr oder weniger sich selbst überlassen. Rainer und ich wollten uns schon lange ehrenamtlich engagieren, so dass wir uns – ziemlich blauäugig, wie wir jetzt merken – angeboten hatten, der syrischen Familie bei ihren ersten Schritten in der neuen Heimat zur Seite zu stehen.

 

Wir wollen ihnen die vielzitierte Integration ermöglichen, ihnen sozusagen eine Gebrauchsanleitung für Deutschland liefern. Aber mit Gebrauchsanleitungen ist das eben so eine Sache. Kein Mensch liest sie. Und wenn doch, dann verzweifelt er schon nach dem ersten Absatz, wenn sie übersetzt sind sogar schon nach der ersten Zeile. Geht mir ja nicht anders. Einige Gebrauchsanweisungen bewahre ich sorgsam in der untersten Schreibtischschublade auf und entdecke sie erst wieder, wenn das dazu passende Gerät längst auf dem Sperrmüll entsorgt ist, andere zerreiße ich aber auch gleich voller Wut, weil der angeblich deutsche Teil mit meiner Muttersprache auffallend wenig Gemeinsamkeiten aufweist.

 

Inzwischen bekomme ich Mitleid mit denen, die solche Texte übersetzen müssen. Da geht es immerhin um komplexe Zusammenhänge. Wir scheitern schon daran, F. und D. begreiflich zu machen, dass wir uns in den nächsten Wochen um einige wichtige Angelegenheiten für sie kümmern wollen. Auch die Übersetzungs-App auf dem Smartphone und das Bildwörterbuch, das ich extra gekauft habe, ist dabei keine große Hilfe. In letzterem finde ich eine komplette Seite über Kricket und alles, was dazugehört, wobei ich stark bezweifle, dass ich das je auf Arabisch übersetzen will, wo ich das Spiel ja schon auf Deutsch nicht kapiere.

 

Immerhin habe ich inzwischen wenigstens kapiert, dass D. dringend noch etwas einkaufen will. „Was denn?“, versuche ich nachzuhaken. Die Wohnung liegt etwas außerhalb des Stadtzentrums und ich kann ja unmöglich alles mit ihm abklappern. Aber immerhin sind wir schon mal auf dem richtigen Weg. Er tippt auf seinem Handy herum, dann hält er es mir unter die Nase.

 

„Ich möchte homosexuelles Öl kaufen“, steht da. Warum Rainer und ich in schallendes Gelächter ausbrechen, verstehen die beiden natürlich nicht und blicken uns stattdessen rat- und hilflos an. Das bringt uns nur noch mehr zum lachen und wohl aus purer Verzweiflung fallen die beiden schließlich mit ein. Vielleicht sind sie auch einfach nur froh, dass jemand wenigstens versucht, ihnen zu helfen.

 

Der Versuch alleine reicht uns allerdings nicht aus, so dass wir uns D. schnappen und mit ihm noch einmal zum Discounter um die Ecke fahren. Gestern, am ersten Tag in Osterode, haben wir es immerhin geschafft, mit viel Zeichensprache und dem Studieren der bunten Bildchen auf den Verpackungen den Kühlschrank zu füllen. Allerdings ist mir dabei auch aufgefallen, wie irreführend die sogenannten Serviervorschläge bisweilen sein können, vor allem, wenn Menschen aus anderen Kulturen sich unweigerlich fragen müssen, wir es der deutschen Industrie gelingt, einen ganzen Gemüsegarten in eine Tube zu pressen. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

 

Wir machen uns erst einmal auf die Suche nach homosexuellem Öl, das der Supermarkt heute leider nicht im Angebot hat. Dafür zaubert das Sonnenblumenöl ein breites Lächeln in D.s Gesicht. In unseres hingegen Erstaunen, da er gleich einen kompletten Karton davon mitnehmen will. „Hat er wirklich verstanden, was das ist“, frage ich Rainer. „Wozu in aller Welt braucht man denn einen Karton Sonnenblumenöl?“, fragt er zurück.

 

Zum Glück gibt es andere Serviervorschläge, die brutzelnde Pfannen zeigen, zu denen D. zustimmend nickt. Na gut, andere Länder, andere Sitten, denken wir uns, überreden ihn aber trotzdem, erst einmal nur fünf Liter mitzunehmen. Im Zweifelsfalle weiß er ja jetzt, wo es Nachschub gibt und kann mehr nachkaufen, wenn die seltsamen Deutschen ihn nicht mehr davon abhalten wollen.

 

An der Kasse erleben wir dann allerdings noch eine weitere Überraschung. Wie gesagt geben wir unsere Gebrauchsanleitung ja ehrenamtlich, also auch nach Feierabend. Nach all unseren mehr oder weniger erfolgreichen Kommunikationsversuchen ist es spät geworden. So spät jedenfalls, dass auch wir jeder gleich noch etwas für unser Abendessen auf das Laufband legen, wie in Deutschland üblich natürlich sauber durch das Nächster-Kunde-Dings oder wie immer das Teil offiziell heißt von D.s Öl abgetrennt. D. aber legt den Trennklotz energisch zur Seite und gestikuliert uns, dass er unsere Sachen mitbezahlen will.

 

„Kommt ja gar nicht infrage, du hast ja kaum genug Kohle für euch“, entfährt es mir spontan. Rainer sieht es eigentlich ebenso, macht mich aber dann aber darauf aufmerksam, dass D. es auch als extrem unhöflich auffassen könnte, wenn wir uns jetzt weigern. Ganz offensichtlich ist er dankbar für unsere Hilfe und will das zum Ausdruck bringen. Können wir ihn da vor den Kopf stoßen? Aber können wir andererseits zulassen, dass er das knapp bemessene Geld vom Amt für uns ausgibt? Außerdem ist es ein blödes Gefühl, sich von einem Flüchtling, dem wir helfen wollen, das Abendessen bezahlen zu lassen. „Wir finden schon bald eine Gelegenheit, um das wieder gutzumachen“, beschwichtigt mich Rainer schließlich. Außerdem zieht D. unsere Sachen mit bestimmtem Griff zwischen seine fünf Flaschen homosexuelles Öl. Widersprechen können wir ja nicht, zumindest nicht auf kurdisch.