Nach Hause telefonieren für Fortgeschrittene

Der gewünschte Gesprächspartner ist zurzeit nicht erreichbar - Teil 2

 

Eigentlich wollte ich ja heute gar nicht so viel Zeit investieren, sondern muss mich noch an den Schreibtisch setzen. Ist das Problem jetzt echt so dringend, fragt eine Stimme in meinem Hinterkopf. Und genau diese Stimme flüstert mir dann auch jenen Satz ein, den ich in den letzten Wochen so oft in zahlreichen Varianten gehört habe: „So schlecht kann es den Flüchtlingen ja nicht gehen, wenn die doch alle ein Handy haben.“ In öffentlichen Diskussionen ist er gefallen, im Netz gibt es haufenweise Kommentare des Schlages „Warum muss denen geholfen werden, die haben ja alle neuere Smartphones als wir?“ Und von einigen Nachbarn habe ich sogar gehört: „Die bekommen doch alles, so arm sind die gar nicht, mein Handy bekomme ich jedenfalls nicht vom Staat bezahlt.“

 

Anfangs habe ich noch argumentiert. „Die fliehen ja auch nicht vor Armut, sondern vor Bomben, die auf sie runterfallen. Was würdest du denn dann mitnehmen?“ Irgendwann war ich es leid und ließ die Leute reden. Jetzt stelle ich mir vor, wie D., F. und die Kinder mit besten Wünschen ihrer Verwandten ins gelobte Europa verabschiedet wurden und sich plötzlich aber nicht mehr zuhause melden. Meine Familie jedenfalls würde sich immense Sorgen machen, wenn sie mich plötzlich telefonisch nicht mehr erreicht und auch ich mich nicht bei ihnen melde.

 

Gut, D.s Familie ist jetzt seit drei Monaten in Deutschland und er wird auch versichert haben, dass sie jetzt aus der Erstaufnahmestelle in eine Wohnung umquartiert wurden. Vermutlich hat er ihnen sogar übertrieben geschildert, wie toll hier alles ist, um ihnen die Ängste zu nehmen. Letztlich ist ja auch erst einmal alles gut. Sie sind sicher, haben ein Dach über dem Kopf, bekommen ein Taschengeld vom Staat und haben berechtigte Hoffnung auf eine Anerkennung ihres Asylantrages. Eine gewisse Unsicherheit bleibt aber wohl trotzdem, erst recht, wenn er sich plötzlich nicht mehr in der Heimat meldet. Und wie es ist, im fremden Land kaum jemanden zum reden zu haben und nicht einmal die engsten Freunde anrufen zu können, mag ich mir gar nicht vorstellen.

 

D. kommt jetzt jedenfalls mit dem Obsthändler und seiner Frau sofort ins Gespräch, ich glaube, sie sprechen Kurdisch, aber natürlich verstehe ich wieder mal kein Wort. Trotzdem bin ich froh, dass wir Schritt für Schritt wenigstens ein bisschen weiterkommen. Sie übersetzen mir, dass sie glauben, an einer der größeren Tankstellen gebe es die passenden Prepaidkarten, ganz sicher sind sie sich aber auch nicht. „Ansonsten müsst ihr mal zu dem Handyladen gegenüber vom Bahnhof fahren. Die Besitzerin ist Türkin und kann euch bestimmt helfen“, erklären sie mir.

 

 

Klingt super, also nichts wie ins Auto und ab zum nächsten Handyladen. Zum Glück ist die Besitzerin tatsächlich selbst dort und sie lässt sich von Dalil auch gleich sein Problem schildern. Anschließend sieht sie im Computer und in einigen Unterlagen nach. „So schnell kann ich jetzt leider nichts tun“, sagt sie schließlich mit Blick auf das magentafarbene Firmenlogo, „es kann gut sein, dass ihr an der Tankstelle Prepaidkarten von Ay Yildiz bekommt. Wenn nicht, dann können wir morgen noch etwas anderes probieren.“ Sie wolle sich erst einmal erkundigen, doch sie vermutet, dass D. von Deutschland aus seinen Vertrag nicht verlängern und auch keinen neuen mit seinem Anbieter machen könne, da er ja bisher nur vorläufig hier gemeldet ist und auch noch kein eigenes Konto haben darf, erklärt sie mir, so ganz kann ich ihr ehrlich gesagt nicht folgen.

 

Verstehen kann ich aber, dass sie anbietet, zur Not auf ihren Namen einen Vertrag für ihn abzuschließen und den dann auf ihn umzuschreiben. Wieder mal bin ich völlig begeistert von der schier grenzenlosen Hilfsbereitschaft der Menschen. Am liebsten würde ich sie umarmen, lasse es dann aber lieber doch sein, da ich zum einen nicht einschätzen kann, wie sie es auffasst, und da ich mir zum anderen mal geschworen habe, niemals einen Telekom-Mitarbeiter zu berühren. Gut, damals musste ich mich zwingen, den Mitarbeiter im T-Punkt nicht mit dem Telefonkabel zu erdrosseln, aber das gehört jetzt wohl nicht hierher.

 

 

Nur, um alles versucht zu haben, fahren wir noch an zwei Tankstellen vorbei, die natürlich keine passenden Prepaidkarten haben, dann vertröste ich D. auf den folgenden Tag. Leider kann ich selbst nicht mitkommen und muss mir somit von Rainer erzählen lassen, dass alles geklappt und D. jetzt einen völlig neuen Vertrag hat, so dass er zumindest seine Verwandtschaft anrufen kann. Zum Beweis hält der mir sein Handy ans Ohr und ich kann fremdländisch sprechende Stimmen hören, die sich ziemlich erfreut anhören. Ich nehme das mal als gutes Zeichen.

 

Im Nachhinein wird mir noch einmal bewusst, wie viele tolle Menschen wir auf unserer kleinen Odyssee kennengelernt haben. Während ich bei vielen Geschäftsleuten sonst oft das Gefühl habe, sie wollen jeden schnell loswerden, der ein Problem hat, das ihre Kompetenz überschreitet, waren heute so viele ehrlich bemüht, uns zumindest einen Weg aufzuzeigen, der uns ja letztlich auch an Ziel führte. Ich muss mich an die Worte eines aus Griechenland stammenden Bekannten erinnern, der schon viele Jahre in Deutschland wohnt. „Wenn ich damals niemanden gehabt hätte, der mir geholfen hat, hätte ich nie in Deutschland Fuß fassen können“, sagte er mal, „darum möchte auch ich jedem, der hier herkommt, so gut wie möglich helfen.“ Vielleicht ist es das, was viele Menschen mit ausländischen Wurzeln antreibt. Und heute durfte ich erfahren, dass das wohl auch für viele Deutsche gilt. Kann es sein, dass die Vorstellung einer zusammenwachsenden multikulturellen Gesellschaft doch nicht so utopisch ist, wie uns manche Leute einreden wollen?