Aus dem Leben der Gutmenschen - Teil 1
Meine erste intensivere Berührung mit dem großen und auch mich die kommenden Monate und Jahre beschäftigenden Flüchtlingsthema hatte ich erstaunlicherweise bei einem Konzert. Damals hatte ich schon häufig über Konzerte und lokale Bands geschrieben, so dass ich immer wieder auch von Veranstaltern um einen Pressebericht gebeten wurde. Diesmal von der örtlichen Terre des hommes-Gruppe über ein Konzert mit der Gruppe Strom & Wasser. Sagte mir absolut gar nichts.
Strom & Wasser featuring The Refugees nannte sich das Projekt, in das ich mich erst einmal einlesen musste. Der Liedermacher, Schriftsteller und Kopf der Band Heinz Ratz hatte offenbar in Zusammenarbeit mit Pro Asyl eine Tour durch Flüchtlingsunterkünfte in ganz Deutschland gemacht und die dortigen Bewohner zum Mitmachen auf die Bühne geholt. Einige von ihnen waren in ihrer Heimat sogar mehr oder weniger berühmt, auf jeden Fall aber tolle Musiker, so dass während dieser Tour eine neue multikulturelle Band entstanden war.
So richtig packte mich das bei der Recherche noch nicht, muss ich heute zugeben. Eigentlich klang es nach einem typischen Gutmenschenprojekt, bei dem es nicht um die Musik, sondern vor allem um die mediale Aufmerksamkeit für die Helfer ging. Das Konzert sollte mich eines besseren belehren.
„Gleich im ersten Lager gab es nur eine Toilette für dreißig Personen, die Heizung war defekt und die Fenster kaputt“, erzählte Heinz Ratz nach den ersten Songs von seinen Erlebnissen, „Da ist uns bewusst geworden, wie man hier mit Menschen umgeht, die man zunächst einmal willkommen heißt.“ Er berichtete von unhaltbaren hygienischen Zuständen mitten in Deutschland und von Menschen, die auf ein Abstellgleis geschoben wurden, während der Staat über ihren Asylantrag entschied.
Das Konzert fand im Frühjahr 2014 statt, Ratz' Tour lag damals schon drei Jahre zurück, die sogenannte Flüchtlingswelle allerdings noch vor uns. Eigentlich wurde mir erst viel später klar, was das bedeutete. Dann nämlich als ich mir ausmalte, wie sich diese Verhältnisse zuspitzten als die ohnehin maroden Einrichtungen bald auch noch heillos überfüllt waren, immer mehr Flüchtlinge kamen und, so denke ich zumindest, zu der einen Toilette bestimmt keine weiteren hinzukamen.
Etwa ein halbes Jahr später besuchte ich dann erstmals selbst eine Erstaufnahmeeinrichtung. Ein Pastorenehepaar hatte eine Kleidersammlung ins Leben gerufen. Sie hatten einer Flüchtlingsfamilie bei den Anträgen beim Bundesamt für Migration in Braunschweig geholfen und sich dabei ein Bild von den Unterkünften machen können. „Wir erlebten Menschen, die trotz Dolmetscher mit der deutschen Bürokratie überfordert waren und Kinder, die seit ihrer Flucht nichts besaßen außer den Kleidern, die sie am Leib trugen“, erzählte mir Pastorenehefrau B.
Kurzerhand riefen sie in der Gemeinde zu einer Kleiderspende auf, bei der Kartons für zwei große Transporter zusammenkamen. Die Landesaufnahmebehörde erlaubte einen Basar auf ihrem Gelände, allerdings mussten die Initiatoren alles selbst organisieren. Alles, was ich tun konnte, war zuzusichern, dass ich mitkommen und über das ehrenamtliche Engagement berichten würde. „Könnten Sie dann vielleicht auch einen der Transporter fahren?“, fragte mich Pastor B. Außer ihm waren es nun einmal überwiegend Helferinnen und kaum eine traute sich mit einem größeren Gefährt als dem eigenen Pkw vom Harz aus in die große Stadt zu fahren. Wenn ich ehrlich war, hatte ich seit meiner Zivizeit auch keinen Transporter mehr durch Innenstädte manövriert, doch ich sagte natürlich zu. Wann bekommt man als Journalist schon mal die Gelegenheit zu praktischer Arbeit?
Tatsächlich kamen wir schließlich auch gut auf dem Gelände an und während Pastor B. und seine Damen den Basar vorbereiteten, machte ich mich auf den Weg zur Pressekonferenz des Niedersächsischen Innenministers, der zufällig an diesem Tag auch in der Einrichtung war. Auf dem Weg dorthin kam ich an Kasernengebäuden vorbei, aber auch an auf den Rasenflächen aufgebauten Containern. Dicht an dicht standen sie, dazwischen Wäscheleinen, Kinderwagen und manches mehr, was jetzt im Sonnenschein nach Alltag aussah. Vorstellen, wie man als Familie in so einem Container über mehrere Wochen leben konnte, wollte ich mir jedoch lieber nicht.
Vorm Eingang des Hauptgebäudes hatten sich schon Kollegen vom NDR, ZDF und RTL mit ihren Kameras und andere von der Braunschweiger Zeitung oder der Hannoverschen Allgemeinen positioniert, dass ich auf die Gästeliste gerutscht war, konnte kaum mehr als ein glücklicher Zufall sein. „Und für wen sind Sie hier?“, fragte mich die nette Security-Dame. „Ich schreibe für den Kirchenkreis Harzer Land“, antwortete ich wahrheitsgemäß und werde wohl nie die irritierten Blicke der anderen Journalisten vergessen.
Doch es kam sogar noch besser...