"Zum Glück sind die ja nicht alle so"

Besorgte Bürger brabbeln Bullshit - Teil 2

 

Am meisten schockierte mich die Äußerung einer Anwohnerin, die große Angst vor dem unvermeidlich höheren Verkehrsaufkommen hatte. „Da hätte ich ja auch gleich an der A7 bauen können, wenn die dann alle Tag und Nacht dort rein und raus fahren.“ Ich musste erst einmal schlucken und mich ehrlich gesagt auch ein wenig im Sitz festkrallen. Deutlich cooler meisterte der Herr von der Landesaufnahmebehörde die Situation, indem er auffallend emotionslos erläuterte: „Unserer Erfahrung nach sind die bei uns ankommenden Flüchtlinge eher arm und können sich meist nicht sofort ein Auto leisten.“

 

Rainer und ich sahen uns einen Moment an, dann fielen wir in das allgemeine Kichern mit ein, bevor mir jener zynische Satz herausrutschte, von dem ich bis heute hoffe, dass ihn außer unseren direkten Sitznachbarn niemand gehört hat. „Ach, wirklich? Und ich dachte, die Flüchtlingsboote im Mittelmeer gehen nur deshalb unter, weil so viele ihren 7er-BMW mitbringen.“

 

Letztlich wurden von anderer Seite Bedenken um die Sicherheit der in der Kaserne untergebrachten Flüchtlinge geäußert und die Herren vom Innenministerium versicherten, dass dafür natürlich nicht der Grundstückseigentümer, sondern das Land selbst sorgen würde. Zudem boten verschiedene Organisationen und Einzelpersonen ihre ehrenamtliche Unterstützung an, während die Argumente der besorgten Bürger sich wiederholten und schließlich verebbten.

 

 

Für meinen Geschmack war die Welt damit in Ordnung, mein Bild eines überwiegend aufgeschlossenen und humanistischen Deutschlands wiederhergestellt. Allerdings nur für ein paar Tage, denn dann erreichte unsere Redaktion die empörte Mail eines Lesers. Er hatte an der Außenwand eines Kasernengebäudes Schmierereien inklusive eines Hakenkreuzes entdeckt und war schockiert, dass sowas in unserer kleinen Stadt passiert.

 

Schockiert war ich ehrlich gesagt nicht, es hätte mich eher gewundert, wenn es sowas ausgerechnet bei uns nicht hätte geben sollen, empört war ich allerdings genauso wie er. Darum machte ich mich auch umgehend auf den Weg, um mir selbst ein Bild zu machen. Der Mailschreiber zeigte mir das wenig kunstvolle und noch weniger hinzunehmende Graffito, das direkt zur Straße hin gut sichtbar an der Wand prangte. „Werdet wach! es ist unsere Heimat“, stand dort, daneben das Hakenkreuz. Letzteres ist in unserem Land eindeutig ein Straftatbestand, das Verwenden von Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen kann sogar mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden. Wir hofften beide, dass es in diesem Fall dazu kommt.

 

Die Stadt, die ich später informierte, reagierte sofort, die Polizei versicherte mir sogar, dass es nicht unwahrscheinlich ist, den oder die Täter zu ermitteln, schließlich wohnen lauter auf Ruhe und Ordnung bedachte Bürger auf der anderen Straßenseite. Zwei von denen kamen mir beim Gassigehen mit Hund entgegen, während ich das Machwerk noch für unsere morgige Ausgabe fotografierte.

 

 

Aus reiner Neugierde sprach ich die beiden gut gekleideten Damen mittleren Alters an und fragte: „Was denken Sie, wenn sie das hier sehen?“ Statt der direkten Antwort, die ich erwartet hatte, drucksten beide erst ein wenig herum. Vielleicht fragten sie sich einfach nur, warum ich das wissen wollte, dachte ich mir und stellte mich als Journalist vor. Sofort wurden sie gesprächiger, wenngleich ich aus ihren Phrasen auch nicht wirklich schlauer wurde.

 

Die ältere von beiden erzählte mir von ihrem hübschen Haus mit Garten ganz in der Nähe, nur ein paar Straßen weiter. Darum kümmern sie und ihr Mann sich mit Hingabe, vor allem der Garten sei äußerst gepflegt. Im letzten Sommer jedoch habe sie eines Nachmittags Geräusche von draußen gehört. „Sie glauben nicht, was ich dann sah“, fuhr sie mit wachsender Aufregung fort, „mitten in unserem Garten saß ein betrunkener Pole, der dort, nun ja, seinen Darm entleerte!“

Um sofort nachzuhaken war ich zu perplex, außerdem sprach die Dame mit hektisch werdender Stimme weiter und erzählte, dass sie daraufhin die Polizei gerufen habe, die aber nicht viel unternommen habe, jedenfalls nicht genug, um ihr Nervenkostüm wieder in Ordnung zu bringen. „Wenn hier demnächst Flüchtlinge einziehen, werden wir unseren Garten jedenfalls einzäunen“, schloss sie.

 

Mir fiel darauf nichts ein. So gar nichts. Klar, es ist nicht schön, wenn mir jemand in den Garten scheißt und die Polizei ihn darauf hin nicht einmal verdonnert, seine Exkremente zu entfernen. Doch weder wusste ich, was die Polen mit der Angst vor Flüchtlingen zu tun haben, noch in welcher Verbindung die Geschichte eines Betrunkenen zu den Schmierereien an der Kaserne steht. Ihre Begleiterin, die mein Schweigen offenbar richtig interpretierte, fasste die Freundin am Arm, um sie am Weiterreden zu hindern, dann sagte sie schnell und mit wohl beschwichtigend gemeintem Unterton: „Naja, zum Glück sind die ja nicht alle so.“

 

Ich schüttelte den Kopf. Doch auch wenn die beiden das vielleicht als Zustimmung interpretierten, war es bestimmt nicht als solche gemeint. Jegliche Diskussion erschien mir zwecklos und so wandte ich mich zum Gehen und verabschiedete mich mit dem Satz: „Dann können wir ja froh sein, dass es in der Kaserne Toiletten gibt.“