Die deutscheste aller Tugenden ist die Mülltrennung - Teil 1
Auf eines der schwierigsten Themen bei der Integration wurden wir zum Glück schon vorbereitet. Dutzende von Ehrenamtlichen sind daran bereits gescheitert, ganze Straßenzüge haben sich dadurch mit Flüchtlingen angelegt und manch Nachbarschaftsverhältnis soll dadurch zu einem erbitterten Krieg geworden sein. Die Rede ist natürlich von der Mülltrennung.
Vielleicht ist es sogar das deutscheste aller deutschen Themen. Wenn wir auch in Sachen soziale Ungerechtigkeit oder Ausbeutung Afrikas oder Waffenlieferungen in Krisenregionen inzwischen abgestumpft und gleichgültig geworden sind, sobald der Nachbar etwas in die Biotonne stopft, was dort nicht hineingehört, ist das deutsche Gerechtigkeitsempfinden geweckt und selbst die größten Couchpotatoes hält nichts mehr in ihren durchgesessenen Fernsehsesseln.
Als ich damals von Osnabrück hierher zog, musste ich die Erfahrung selbst machen, denn während dort Dosen in den gelben Sack gehörten, werden sie hier zusammen mit dem Altglas gesammelt, das ich dort wiederum zum Container bringen musste, während es hier vor die Tür gestellt wird. Ich brauchte damals etwa zwei Wochen, um mich umzugewöhnen und lernte in dieser Zeit viele meiner neuen Nachbarn kennen. Zum Teil waren das fürsorgliche Ratschläge wie: „Pass besser auf, die nehmen das sonst rigoros nicht mit und es kann richtig teuer werden“, zum Teil aber auch entrüstete Beschimpfungen.
Wenn ich mir das heute in Erinnerung rufe, kann ich mir ungefähr ausmalen, wie schwer das Mülltrennen für Menschen aus anderen Kulturkreisen sein muss. Allerdings haben wir als „unsere“ Familie einzieht ja erst einmal weder schwarze noch blaue Tonnen und statt gelber nur blaue Behelfssäcke vom Landkreis. Dort kommt erst einmal alles rein, schließlich sind die Vermieter für die Beantragung der Tonnen zuständig.
Dass sie das machen wollen, erklärt Frau Vermieterin uns und D. dann auch bei einem ihrer Besuche. Uns gegenüber ziemlich generös, was wir angesichts der vernünftig zurechtgemachten Wohnung erst einmal kommentarlos hinnehmen. Von Bekannten haben wir schließlich auch von Vermietern gehört, die sich überhaupt nicht kümmern und mit Hilfe der Flüchtlinge nur versuchen, gutes Geld für ihre schäbigen Wohnungen zu bekommen, in die kein deutscher Mieter mehr einziehen würde.
An der Erklärung für D. und F. scheitert die Vermieterin aufgrund der Sprachbarriere, doch sie vertröstet uns wie schon so oft mit den Worten: „Wenn mein Mann kommt, macht der das. Er kann denen das dann auch erklären, er hat ja schon mit vielen Flüchtlingen zu tun gehabt.“ Dieses „der macht das schon“ bezieht sich auf einige notwendige Reparaturen, auf diverse Anschaffungen, bei denen wir bisher noch keinen Erfolg oder schlicht keine Zeit gehabt haben und natürlich auf die Beseitigung aller Verständigungsprobleme. Selbstverständlich bin ich mehr als gespannt auf diesen Supermann.
Dass er schließlich in Jogginghose und Schlappen vor uns steht, werte ich erst einmal als Understatement. Doch wie er erzählt, dass er schon in einer Flüchtlingsunterkunft gearbeitet hat und immer dann gerufen wurde, wenn alle anderen nicht weiterkamen, passt weniger dazu. Auch dass er mit dem klemmenden Fenster genauso wenig weiterkommt wie wir zwei Tage zuvor, bringt das in schillernden Farben gemalte Bild seiner Gattin leicht ins Wanken. Sein „dann müssen sie eben das andere öffnen“ zeigt aber immerhin, dass er durchaus in der Lage ist, für jedes Problem eine Lösung zu finden.
So verhält es sich dann auch mit unserem Sprachproblem. Während wir uns wegen des Mülls immer noch mit Übersetzungs-App und Bildwörterbuch abmühen, packt er einfach seine geballte internationale Sprachkompetenz aus und erklärt: „The Plastik you must put in the yellow Sack and the paper gehört in an extra box that you stellt dann an die Straße... ähm at the street.“ Wie schade, dass wir seine Hilfe nicht schon viel eher in Anspruch genommen haben.
Ich muss mir auf die Lippen beißen, aber nicht mal, weil er scheinbar fest davon überzeugt ist, dass jeder Syrer Englisch – und insbesondere sein Englisch – verstehen kann, sondern vor allem wegen der anhimmelnden Blicke, die seine Frau ihm dabei zuwirft. D. und F. verstehen zwar kein Wort, nicken aber eifrig, um nicht unhöflich zu erscheinen. Die Vermieter überzeugt das natürlich umso mehr davon, das Problem ein für allemal gelöst zu haben.
Fortsetzung folgt...