Culture Clash - Teil 1
Den Kampf der Kulturen, also eine gewollte Feindschaft zwischen der westlichen und der arabischen Welt, habe ich nie so richtig wahrgenommen. Zwar hörte ich früher auch von meinen Eltern immer wieder, dass Christen und Muslime nicht in Frieden miteinander leben können und sogar, dass sie es gezielt auf die Unterwanderung unserer Kultur abgesehen haben, doch je älter ich wurde, desto mehr fehlten mir die Anhaltspunkte für diese These.
Dabei habe ich die zerstörerischen Folgen des fundamentalistischen Islamismus mit eigenen Augen gesehen. Im Sommer 2002, also genau ein Jahr nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center war ich mit meinem Bruder in New York. Wir machten einen dreiwöchigen Trip durch die USA: Auto mieten, losfahren und einfach Land und Leute entdecken. Dabei durfte Ground Zero natürlich nicht fehlen.
Was wir dort sahen, war ein unglaublich großes Loch im Boden, bei dem die Vorstellung schwer fiel, dass dort noch vor kurzem das höchste Gebäude dieser Stadt gestanden hatte. Es war eine riesige Baugrube, die Kellergeschosse und auch Teile der U-Bahn noch deutlich erkennbar. Mitten inzwischen der umstehenden Wolkenkratzer Manhattans klaffte es wie eine Wunde auf, was dort geschehen war, erschien mir immer noch unvorstellbar. Besonders schockierte mich eine Straße weiter das Schaufenster eines kleinen Klamottenladens. Die Scheibe war zwar ersetzt worden, doch sonst wurde alles so belassen wie unmittelbar nach dem Anschlag. Die ausgelegten Waren waren voller Staub und Glasscherben, so dass ich mir zumindest ausmalen konnte, wie sich die in die Türme gesteuerten Flugzeuge und der Einsturz in der unmittelbaren Umgebung ausgewirkt hatten.
Diese Bilder werde ich wohl nie vergessen, doch waren sie für mich immer das Ergebnis schrecklicher Taten Einzelner und keinesfalls ein Zeichen dafür, dass die verschiedenen Religionen auf dieser Welt nicht in Frieden zusammen leben können. Auch in der Folgezeit machte mir George W. Bush deutlich mehr Angst als ein angeblich bedrohlicher Islam. Gewalt geht schließlich immer von Menschen aus, nicht von Religionen. Mein Bruder zog aus diesen Eindrücken offenbar andere Schlüsse und legte mehr und mehr eine Islamophobie an den Tag, die insbesondere durch meine Mutter befeuert wurde.
Für mich blieben alle Anschläge und Gräueltaten Ausdruck eines gefährlichen und durch und durch abscheulichen Fundamentalismus, aber nie ein Indiz für eine vom Islam ausgehende grundsätzliche Gefahr. Durch meine beruflichen Erfahrungen festigte sich diese Meinung noch, zum Beispiel durch das Gespräch mit einer Frau, die in der Süd-Sahara von Al-Qaida-Terroristen entführt und drei Monate lang gefangen gehalten wurde. Ihre Liebe zu Nordafrika hätte das nicht beeinträchtigt, erzählte sie, da sie auf all ihren Reisen viel mehr positive Erfahrungen mit den Menschen dort gesammelt hätte.
Später erlebte ich dann den Nah-Ost-Korrespondenten Ulrich Kienzle bei einem Vortrag über den arabischen Frühling. Darin machte er zunächst einmal deutlich, dass es „die arabische Welt“ als eine gemeinsam agierende Kraft nicht gebe, sondern stattdessen viele Strippenzieher mit zum Teil sehr eng gefassten eigenen Interessen. Auslöser für Konflikte sei häufig das allmählich zur Neige gehende Öl und die damit verbundene Machtpolitik der USA, die Aufstände und Umbrüche wertete er als Bewegung einer Jugend, die Anschluss an das 21. Jahrhundert haben will.
Mehr noch als diese Zusammenhänge und seine Einordnung in einen plausiblen Kontext beeindruckte mich die Gelassenheit und das Augenzwinkern dieses gestandenen Journalisten, mit dem er über sehr persönliche Erlebnisse während allerlei Diktatorenbesuchen und von der Kriegsberichterstattung erzählte. Zwischen den Zeilen ließ er sehr deutlich spüren, dass die Welt der Mächtigen die eine, die der kleinen Leute, die eigentlich nur in Frieden leben wollen, die andere war.