Anhörung

Vor dem Asyl steht in Deutschland die Bürokratie - Teil 2

 

Sofort am nächsten Morgen rufe ich Rainer an und schildere ihm das Problem. Zum Glück schaltet er in solchen Sachen schneller als ich und ruft sofort beim Bundesamt an. Vielleicht lässt sich der Termin ja verschieben. Für mich beginnen quälende Stunden, in denen ich zwischendurch immer wieder Bahnverbindungen checke oder versuche, meine Termine am Montag doch noch zu verlegen.

 

Dann endlich ruft Rainer mich wieder an. Schon bevor er überhaupt etwas sagt, kann ich durchs Telefon hören, wie geladen er ist. „Was ist das eigentlich für ein Chaosverein?“, flucht er, „Erst geht stundenlang überhaupt niemand ans Telefon und dann ist es nicht möglich, mich mit jemandem zu verbinden, der auch nur ansatzweise zuständig ist. Wenn wir so arbeiten würden, wäre unsere Firma längst pleite.“ Treffender kann man die deutsche Bürokratie nicht beschreiben, glaube ich.

 

„Lass mal deinen Frust weg und sag mir, was am Ende herausgekommen ist“, drängele ich. „Beim Bundesamt selbst haben die überhaupt nichts mit der Terminvergabe zu tun“, schimpft er unbeeindruckt und ehrlich gesagt berechtigterweise weiter. „also musste ich direkt in Friedland anrufen und hatte nach vier geschlagenen Stunden endlich eine Frau Sch. am Apparat, die überhaupt etwas mit den Anhörungen zu tun hat.“ Langsam werde ich ungeduldig und zerknülle mit der freien Hand energisch den Zettel, auf dem ich die Bahnverbindungen notiert habe.

 

„Jedenfalls hat sie mir dann gesagt, dass D. und F. nicht schon um acht Uhr da sein müssen, sondern dass es auch um elf Uhr ausreicht. Auf mein Drängen hat sie dann wohl sogar ein Vermerk gemacht, damit die Kollegen am Montag das auch wissen“, schließt Rainer endlich. Wir beide atmen auf und verabreden uns eine halbe Stunde später bei D. und F.

 

Dort angekommen ändert sich die Situation noch einmal von Grund auf. Wir haben I. zum Übersetzen dazugeholt und er übersetzt erst einmal, dass D. mit anderen Syrern gesprochen hat, die ihm eine ganz neue Möglichkeit aufgezeigt haben. „Eine Familie, die zur Anhörung muss, kann dort für eine Nacht kostenfrei untergebracht werden“, berichtet er. Das wollen D. und F. tun, zum einen, weil sie dann in aller Ruhe am Sonntag losfahren können, zum anderen, weil sie sich mit Landsleuten abstimmen wollen, was man bei der Anhörung erzählt und was man lieber verschweigt oder zumindest verschleiert.

 

 

Klingt nach einer gar nicht mal schlechten Idee. Zumindest ist es wahrscheinlich sinnvoll, sich im Vorfeld ein wenig auf das Gespräch vorzubereiten. „Bleibt aber immer bei der Wahrheit“, rate ich, „ich glaube, es wäre doof, wenn irgendwann später rauskommt, dass ihr etwas falsches ausgesagt habt.“ Er habe ohnehin nichts anderes vorgehabt, beteuert D. und ich frage mich, ob er überhaupt lügen könnte. Irgendwie kann ich mir das bei ihm schwer vorstellen, so unsicher wie er manchmal wirkt.

 

„Könnt ihr uns denn Sonntag zum Bahnhof bringen?“, fragt er zum Schluss noch und natürlich versprechen wir es. Trotzdem bin ich mindestens genauso aufgeregt wie er und F., Rainer übrigens auch. Nur die Kinder scheinen sich auf den Ausflug zu freuen, so wie sie alles voller Neugierde und Begeisterung aufsaugen.

 

Den ganzen Montag über sind meine Gedanken bei unseren fünf Reisenden. Erwischen sie beim Umsteigen den richtigen Zug? Kommen sie pünktlich an? Erzählen sie das, was relevant für ihren Asylantrag ist? Dabei heißt es immer, Flüchtlinge aus Syrien werden zu 90 Prozent als asylberechtigt anerkannt. Das sollte mich doch beruhigen. Trotzdem bleiben zehn Prozent Unsicherheit und die machen mir zu schaffen.

 

Immerhin kommen F. und D. nicht direkt aus einem Kriegsgebiet, sondern sind geflohen, weil sie Angst hatten, der Krieg komme zu ihnen. Dazu kommt natürlich die Chancenlosigkeit und die Sorge um die Zukunft der Kinder, was zwar menschlich gesehen ein guter Grund ist, um eine sicherere Heimat zu suchen, nur weiß ich eben nicht, ob das auch unsere strengen Bedingungen erfüllt oder ob sie damit vielleicht als Wirtschaftsflüchtlinge eingestuft werden könnten.

 

Andererseits hätte ich selbst es vermutlich ebenso gemacht. Ein Land, in dem Kurden vielleicht nicht direkt verfolgt, aber zumindest eingeschränkt werden, in dem ein Terrorregime alles in Schutt und Asche legt und in dem neben der fragwürdigen Regierung auch internationale Kräfte für Unsicherheit sorgen, bietet wenig Argumente zum Bleiben. Vor allem, wenn es um die Sicherheit und Zukunft der Kinder geht. Dafür würde ich auch ohne zu zögern alles aufgeben und mir einen Ort der Zuflucht suchen.

 

 

Wenn es Deutschland treffen sollte, bliebe allerdings die Frage, wo diese Zuflucht sein könnte. Für unsere Großeltern waren die USA das gelobte Land. Das sehe ich heute etwas anders. Australien wäre kulturell ähnlich und schön weit weg. Doch die lassen kaum jemanden rein, fürchte ich. Vielleicht wäre Japan eine Überlegung wert. Dort mit der fremden Sprache und Kultur als Journalist Fuß zu fassen, könnte allerdings schwer werden.

 

Als wir am Montagabend eine SMS von D. bekommen, dass sie alle wohlbehalten wieder zuhause angekommen sind, fällt uns beiden ein Stein vom Herzen. Sofort fahren wir hin und lassen uns soweit es möglich ist alles erzählen. I. ist leider nicht da, so dass wir wieder mal auf Hände und Füße zurückgreifen müssen, doch das, was F. und D. uns auf kurdisch erzählen, klingt positiv. Zumindest lächeln sie, die Kinder wirken entspannt und sie sagen immer wieder das typische „alles gut“, das uns schon so oft in der Form weitergeholfen hat, dass es immerhin beruhigt und Hoffnung vermittelt.

 

Jetzt müssen wir auf das Ergebnis der Anhörung warten, dann ist erst einmal ein weiterer Meilenstein geschafft und sie dürfen vorerst bleiben, weitere Anträge stellen, sich um einen offiziellen Sprach- und Integrationskurs kümmern und sich weiterhin mit der deutschen Bürokratie herumärgern. Dass ich das einmal als erstrebenswertes Ziel ansehe, hätte ich auch nie gedacht.