Bewegende Einblicke im Grenzdurchgangslager Friedland - Teil 1
Als ich zum ersten Mal im Grenzdurchgangslager Friedland war, hatten sich dort Bundesinnenminister Thomas de Maizière und der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann zu einem Besuch angekündigt. Es war die Zeit, in der die Erstaufnahmeeinrichtungen bundesweit aus allen Nähten platzten, rechte Demonstranten richtig laut wurden und noch kaum ein Spitzenpolitiker sich in einer Einrichtung hatte blicken lassen.
Somit war der Besuch ein riesiger Medienrummel und alle, die damit zu tun hatten, unglaublich hektisch. Da ich unbedingt auch berichten wollte, nutzte ich meinen Kontakt zum niedersächsischen Innenministerium und Philipp versprach tatsächlich, beim Bundesinnenministerium mal anzufragen, ob ich mich um eine Akkreditierung bewerben durfte. Zwei Tage später erhielt ich eine Mail, ich sollte mich bei einem Mitarbeiter melden, der mich dann am Telefon sagte, ich müsse an eine bestimmte Mailadresse schreiben, von dort aus bekam ich dann den Link zu einem Online-Formular, in das ich wiederum etliche persönliche Daten eintragen durfte. Na gut, es ging hier nun mal um ein brisantes Thema, da muss das wohl so sein.
Danach hörte ich erst einmal tagelang nichts. Nun bin ich nur ein kleiner Lokaljournalist und in solchen Abläufen nicht gerade firm, also schickte ich eine Woche vor dem Pressetermin eine Mail, wann ich denn eine Bestätigung für meine Anfrage bekäme. Die gäbe es nicht, hieß es in der Antwort, wenn ich mich ordnungsgemäß angemeldet habe, dann sei ich damit automatisch auf der Liste. Ein wenig seltsam, aber mir sollte es nur recht sein.
Am betreffenden Tag war ich dann eine Stunde zu früh in Friedland, weil ich mit langen Wartezeiten und strengen Kontrollen rechnete. Eigentlich ist das „Lager“ ein Dorf im Dorf, das nach dem Zweiten Weltkrieg für Vertriebene aus den ehemaligen Ostgebieten entstand und zu allen Zeiten grundsätzlich nicht abgeschottet war. So war es auch an diesem Tag. Sämtliche Tore waren offen, ich konnte ohne weiteres reinlaufen und dort niemand nahm auch nur Notiz von mir. Ziemlich seltsam im Gegensatz zu dem vorherigen bürokratischen Aufwand, dachte ich mir und meldete mich daher trotzdem mal am Haupteingang.
Der nette Mitarbeiter wollte weder meinen Ausweis noch sonst etwas sehen, sondern schickte mich nur in die Richtung, wo die beiden Thomase empfangen werden sollten. Ehrlich gesagt hatte ich mit einer peinlich genauen Durchsuchung aller Taschen gerechnet und mit haufenweise Anweisungen, was ich fotografieren durfte und was nicht. So jedoch tat ich es den zahlreichen Kollegen gleich, packte meine Kamera aus und hielt erst einmal drauf. Zumindest auf die Gebäude und größere Menschenansammlungen. Einzelne Gesichter abzulichten, wenn ich mir nicht sicher war, ob die Leute meine Frage um Erlaubnis richtig verstanden, traute ich mich nicht. Schließlich würde ich als Flüchtling in einem fremden Land auch nicht zum Pressemotiv werden wollen.
Da mich niemand stoppte, folgte ich den anderen Journalisten auch in die Gebäude, wo insbesondere die Fernsehteams schon überall ihr Equipment aufgebaut hatten. Die Aufnahmen von überfüllten Fluren, in denen Menschen dicht an dicht auf nichts als einer Matratze lebten, waren ja später auch überall zu sehen. Mich schockierte es allerdings richtig. Selbst auf den Treppenabsätzen waren provisorische Betten aufgebaut, Privatsphäre oder auch nur den Hauch einer zivilisierten Ordnung gab es hier nicht mehr.
Es war wortwörtlich ein Ausnahmezustand und erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, was es für diese Menschen bedeuten musste, wenn sie wochenlang und monatelang hier ausharren musste, bevor sie überhaupt für eine Asylprüfung zugelassen wurden. Hier stand die Zeit still, weil die Bürokratie nicht mehr hinterher kam und mit Menschenwürde haben Übernachtungen in Fluren, zwischen Mülltonnen und Büros meiner Meinung nach wenig zu tun.
Gerne hätte ich mich mit einigen Flüchtlingen unterhalten, aber erstens traute ich mich nicht, sie einfach so anzusprechen, da viele eben gerade beim Zähneputzen, beim Stillen oder anderen sehr privaten Tätigkeiten waren, und zweitens fehlten mir in diesem Moment einfach die Worte und ich war sprachlos. Letztlich wusste ich ja, was mich erwartet, doch es so hautnah mitzuerleben, wie viele hier auf den kahlen Fluren einfach zum Alltag übergingen, traf mich mitten in die Magengrube.
Fortsetzung folgt...