Bewegende Einblicke im Grenzdurchgangslager Friedland - Teil 2
Irgendwann ging ich dann doch auf eine Gruppe junger Leute zu, die vor einer der Wohnbaracken stand und das Geschehen aufmerksam beobachtete. „Where are you from?“, sprach ich sie an und erfuhr, dass sie aus dem Irak kommen. Seit einigen Wochen waren sie bereits hier und uns Deutschen sehr dankbar für die Aufnahme und Unterbringung. Ganz offensichtlich haben sie in anderen Ländern deutlich schlechte Situationen erlebt und können sogar der Enge hier etwas Positives abgewinnen.
So hätten sie mehr Möglichkeiten, Freundschaften zu schließen und das sei nun einmal wichtig, um sich in einem fremden Land zurecht zu finden, erklärten sie mir. Allerdings sei es meist so, dass Iraker sich mit Irakern anfreunden und Syrer mit Syrern. Zwischen den verschiedenen Nationen komme es schon hin und wieder zu Streitigkeiten, schließlich bedeuten die Ungewissheit, die Enge und nicht zuletzt auch die Langeweile, die das quälende Warten mit sich bringt, für jeden hier besondere Anspannung. Auch das ist vermutlich normal und in so einer Situation unbvermeidbar.
Warum ich denn hier sei, fragten sie schließlich und ich erzählte ihnen, dass ich aus dem nahegelegenen Osterode komme, wo gerade über die Einrichtung einer weiteren Erstaufnahmestelle diskutiert wurde. Dann solle ich unbedingt auf die Verhältnisse hier hinweisen, baten sie eindringlich, immerhin müssten sie oft stundenlang fürs Mittagessen anstehen und sämtliche Mitarbeiter seien vollkommen überlastet. Jede weitere Einrichtung, so waren sie überzeugt, könne helfen, Verfahren schneller einzuleiten und gebe ihnen eher die Chance für einen Neuanfang oder zumindest ein Leben, bei dem sie nicht auf Notversorgung angewiesen sind. Ich versprach, ihr Anliegen im Rahmen meiner Möglichkeiten nach außen zu tragen und spürte dabei eine Verantwortung, die plötzlich auf meinen Schultern lastete.
Als dann Bewegung in die Masse der Journalisten kam, riss ich mich zusammen und wuselte mich durch die Leute, um eine möglichst gute Kameraposition zu erlangen. Das wollten natürlich alle und es herrschte einiges Gedränge als die schwarzen Limousinen anrollten und der Landrat, dann der Vertreter des Landesinnenministeriums und schließlich zuerst Thomas Oppermann und mit ein wenig mehr Verspätung auch Thomas de Maizière ausstiegen.
Zwischen uns Journalisten standen auch viele der Flüchtlinge, neugierig, was der ganze Rummel denn sollte. Natürlich hatte sich längst bei allen herumgesprochen, dass es hier um sie und ihre Situation ging und einige hofften auf ein Interview mit einem deutschen Fernsehteam, dem sie ihre Lage schildern konnten. Doch dazu war erst einmal keine Zeit.
Der Terminplan war eng und nach dem großen Händeschütteln folgte eine Führung des Einrichtungsleiters durchs Lager und bis zur sogenannten Friedlandglocke, die 1949 von Flüchtlingen gestiftet worden war und deren Klang ein Appell an das Recht auf Heimat und Selbstbestimmung sein soll. Beides war mir hier ehrlich gesagt nur sehr begrenzt begegnet. Vielmehr dokumentierten die Verhältnisse die deutliche Überforderung unseres Staates mit der gegenwärtigen Situation und auch dessen Unfähigkeit, in Zeiten wie diesen sonst geltende behördliche Vorgänge zum Wohle der Menschen abzukürzen.
Die Einrichtung sei für 700 Menschen ausgelegt, derzeit waren mehr als 3000 hier, erläuterte der Einrichtungsleiter den Gästen. Die Zahlen sprachen für sich, gaben aber nur unzureichend das wieder, was hier zu sehen war und was sich tatsächlich nur mit dem Wort „Ausnahmezustand“ beschreiben ließ. Leider äußerten sich die Politiker erst einmal nicht dazu, eine Presseerklärung war erst für später angesetzt.
Zuvor gab es einen Einblick in einen Deutschkurs, wie uns gesagt wurde ohne Presse, damit die Situation möglichst natürlich bleibt. Na klar, so natürlich eine Unterrichtsstunde mit zwei Spitzenpolitikern und deren Beraterstab sowie dem Vertreter des Landes und dem Landrat, beide vermutlich ebenfalls mit mindestens einem Mitarbeiter an ihrer Seite, eben sein kann. Vor allem, wenn es sich, so hörte ich gerüchteweise, um eine extra für diesen Termin ausgewählte Gruppe besonders eifriger Deutschlernender handelte, da man de Maizière und Oppermann natürlich beeindrucken wollte.
Für mich klang das nach einer Art folkloristischem Theater, das die Einrichtung nach außen zwar gut aussehen ließ, an den eigentlichen Problemen aber vorbei ging. Meiner Meinung nach hätten die Menschen hier vor Ort viel vehementer mehr Erstaufnahmeeinrichtungen fordern müssen, denn da draußen wurden gerade mehr und mehr Sporthallen zu Notunterkünften erklärt und im Fall unserer leerstehenden Kaserne, die ja zur Erstaufnahmestelle umgebaut werden sollte, war bis zu diesem Zeitpunkt außer der vollmundigen Absichtserklärung noch nichts Konkretes passiert.
Fortsetzung folgt...