Vorurteile in den Köpfen

Bewegende Einblicke im Grenzdurchgangslager Friedland - Teil 3

 

Die Wartezeit nutzte ich für Gespräche mit Menschen, die etwas abseits unseres Journalistenpulks standen. So traf ich zum Beispiel den Lagerpastor, der hier mit einem kleinen Team für soziale und karitative Arbeit zuständig war. „Jeder hier ist am Limit, auch die Kollegen müssen immer öfter jemandem ihr Herz ausschütten“, erzählte er mir.

 

Außerdem kam ich mit einem jungen Mann aus Afghanistan ins Gespräch, der zu meiner Überraschung hervorragend deutsch sprach. Schon in seiner Heimat habe er insgesamt sieben Sprachen gelernt, jetzt sei er allerdings auch schon fünf Monate hier und habe ja kaum etwas anderes zu tun als seine Sprachkenntnisse zu verbessern. Schon mehrfach habe er sich als Dolmetscher angeboten, wollte gerne bei den Aufnahmeanträgen und einigen anderen Formalitäten helfen, da die neu ankommenden Flüchtlinge meist verunsichert und überfordert seien und die offiziellen Dolmetscher natürlich ebenso überlastet wie alle anderen Mitarbeiter. Doch die deutschen Gesetze ließen es natürlich nicht zu, dass er einen solchen Job ohne offizielle Zulassung übernimmt, erzählte er niedergeschlagen.

 

 

Bevor ich länger darüber nachdenken oder mich gar aufregen konnte, kam wieder Bewegung in die Menge und es ging zur offiziellen Presseerklärung der beiden Thomase. Es begann mit allgemeinem Blabla über die momentane politische Situation, über steigende Flüchtlingszahlen und zu wenigen Unterbringungsmöglichkeiten. Schließlich war das das beherrschende Thema des Sommers und die Lage spitzte sich immer mehr zu. Gehandelt wurde seitens der Politik bisher leider viel zu wenig.

 

„Friedland ist seit vielen Jahren ein Symbol für die Hilfsbereitschaft Deutschlands“, sagte Thomas Oppermann. Daran, dass sich an der Überbelegung hier schnell etwas ändern müsse, bestehe kein Zweifel. Konkreter wurde er leider nicht. Sein Kollege de Maizière kam immerhin auf Ausschreitungen der Rechten in vielen Teilen Deutschlands zu sprechen. Durch die Flüchtlinge sei die Kriminalitätsrate nicht gestiegen, betonte er, wohl aber durch die Anschläge gegen Unterkünfte oder geplante Unterkünfte.

 

Diese verurteilte er scharf und stellte fest: „Das ist nicht die Mehrheit.“ Die nämlich weise die nötige Willkommenskultur auf, die wir jetzt bräuchten. An diesem Nachmittag beeindruckte der Außenminister mich und ich schätzte ihn dafür, dass er klar Stellung bezog. Nur wenige Wochen später erlebte ich ihn in einem Interview im Heute Journal, wo er eine Ankommenskultur der Flüchtlinge forderte und deren Unzufriedenheit mit den Zuständen in überfüllten Erstaufnahmestellen anprangerte. Selbst Marietta Slomka wirkte für einen Augenblick sprachlos und ich fragte mich, ob er an diesem Tag in Friedland vor lauter Journalisten und Fernsehkameras überhaupt etwas von den Zuständen mitbekommen hatte.

 

 

Ich selbst war erst etliche Monate später wieder in Friedland. Inzwischen waren nur noch etwa 300 Menschen dort untergebracht, die Situation hatte sich deutlich entschärft, während von der Willkommenskultur in unserem Land meiner Meinung nach wenig geblieben war.

 

Dafür war in Friedland ein Museum eröffnet worden, das sich mit Fluchtgeschichte und der Geschichte des Grenzdurchgangslagers seit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte. Im Rahmen eines Artikels über ehrenamtliche Paten durfte ich an einer Führung teilnehmen und darüber berichten. Von Anfang an erstaunte mich, dass es hier nicht nur um sachliche Fakten ging, sondern dass die Ausstellungen und Zeitdokumente mehr sagen wollten.

 

Sie dokumentierten eindrucksvoll, wie die Vertriebenen aus den ehemaligen Ostgebieten in Nissenhütten untergebracht, wie Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs hier aufgenommen und wie infolge des Vietnamkrieges Boatpeople aus Südostasien hier medizinisch versorgt wurden. „Fluchtgeschichte wiederholt sich“, stellte die Museumsführerin unumwunden fest und zeigte auch auf, dass es zu jeder Zeit heftigen Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik und kontroverse politische Diskussionen gegeben hatte. Im Grunde immer mit denselben Argumenten der Gegner. Das, so sagte sie, habe der Integration jeder dieser Flüchtlingsgenerationen nachhaltig geschadet und auch darum gebe es dieses Museum. Damit sich manche Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen und am Ende die Humanität stärker ist als unbegründete Vorbehalte.