Mehr Licht, weniger Salz - Teil 1
Als Rainer und ich bei F. und D. ankommen, sind der Vermieter und seine Frau gerade zu Besuch. Sie erklären den beiden gerade wortreich, dass sowohl sie als auch die Familie unten den Garten selbstverständlich nutzen dürfen, aber dementsprechend auch einige Pflichten haben und beim Rasenmähen helfen sollen. Rainer guckt mich an und ohne Worte weiß ich, dass er sagen will: „Wir halten uns aus der Diskussion raus, das ist nicht unser Bier.“
Wie es sich für einen etwas kühlen, aber sonnigen Nachmittag auf dem Balkon gehört stehen übrigens tatsächlich einige Dosen Bier auf dem klapprigen Gartentisch. Von D. stammen die nicht, bin ich mir fast sicher und als ob der Vermieter meinen Gedanken gelesen hat, bestätigt er: „Ich hab' mal 'n paar Dosen mitgebracht, richtig gutes deutsches Bier kennen die da ja gar nicht.“ Ich sage nichts dazu, stelle nur im Stillen fest, dass D. nicht gerade den Eindruck macht als würde er unter diesem Umstand sonderlich leiden.
Auch Rainer ist gerade ziemlich einsilbig als die Vermieterin ihm erklärt, wo im Keller Besen und für den Winter auch der Schneeschieber und Streusalz verstaut sind. Ist, wie gesagt, nicht unser Bier. Trotzdem frage ich mich, ob es in Syrien im Winter überhaupt schneit. Grundsätzlich ist es wärmer als hier, soviel haben F. und D. uns schon deutlich zu verstehen gegeben als wir für die Kinder warme Jacken kauften.
Ich erinnere mich noch gut an eine Tour durch den Harz mit der aus Kuba stammenden Frau meines Vaters und ihrem gemeinsamen Sohn, die bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal Schnee sahen. Sie war mindestens ebenso begeistert wie der Kleine und beide konnten gar nicht genug bekommen von diesem seltsamen weißen Zeug, das man in der Karibik nur aus dem Fernsehen kennt. Weniger begeistert war sie von dem wunderbaren alten Fachwerkhaus, in dem ich wohne. „Warum wohnst du in einer Ruine?“, fragte sie mich und erläuterte mir später den kubanischen Aberglauben, dass die Seelen früherer Bewohner in alten Häusern zu spüren sind und jeder, der es sich leisten kann, somit alles daransetzt, ein neues Haus zu bauen, in dem er der erste Bewohner ist. Wenn ich richtig informiert bin, dann ist dieser Glaube auch in Afghanistan und der arabischen Welt relativ verbreitet. Insofern können F. und D. ja froh sein, dass sie nur in einem Haus aus den 70er Jahren untergekommen sind. Die einzigen, die uns hier immer wieder mal auf den Geist gehen werden, sind die Vermieter, vermute ich mal.
Irgendwann verabschieden sich die beiden und ich habe den Eindruck, dass auch D. und F. nicht so traurig darüber sind. Unser aller Blick fällt auf die Bierdosen auf dem Tisch. Ich frage D., ob er als Moslem überhaupt Alkohol trinkt und er macht uns klar, dass er und seine Familie das längst nicht so streng sehen wie andere Muslime. Trotzdem trinke er sehr selten Alkohol und F. gar nicht. Da blitzt sie dann doch wieder auf, die unterschiedliche Rolle von Mann und Frau in der arabischen Welt.
Wenn das Bier aber schon mal hier ist, will er uns zeigen, wie man es in Syrien – wenn überhaupt – trinkt. Nämlich nicht pur, sondern mit Zitrone und Salz. „Salz?“, rutscht es mir heraus und ich sehe ihn fragend an. Er konsultiert noch einmal die Übersetzungs-App und bestätigt dann: „Salz.“ Bevor wir noch etwas sagen können, verschwindet er in der Küche und kommt kurz darauf mit drei gefüllten Gläsern zurück.
Noch vorsichtig nippe ich daran. Bier mit Zitrone, okay. Aber Salz geht gar nicht. Vor allem, weil es auch nicht gerade wenig ist. Das Gemisch schmeckt ehrlich gesagt als habe es jemand durch alle Weltmeere gezogen und zieht in meinem Mund alles zusammen. Rainer meint, ich soll mich nicht so anstellen und trinkt tapfer noch einen Schluck. Ich rede mich allerdings damit raus, dass ich ja mit dem Auto da bin und dass Alkohol im Verkehr hierzulande gar nicht geht. Das ist zwar nur die halbe Wahrheit und vielleicht auch etwas unhöflich, aber D. und F. können darüber lachen und nehmen es mir nicht übel.
Kurz darauf kommen wir an den nächsten Punkt, an dem syrischer und deutscher Geschmack offenbar deutlich auseinander gehen. „Mehr Licht“, versucht D. uns zu erklären, worauf er hinaus will. Ich gehe mal nicht davon aus, dass er damit auf Goethes angebliche letzte Worte anspielt, so gut kennt er sich in der deutschen Kulturgeschichte dann doch noch nicht aus.
Außerdem zeigt er dabei auf die Wohnzimmerlampe, ein Modell aus dunklem Eichenholz mit floral verzierten Glaseinsätzen. Die stammt zwar nicht aus der Zeit Goethes, war aber meiner Meinung nach in den 80ern ebenso oft in deutschen Wohnzimmern vertreten wie der Faust in den Bücherregalen. Vielleicht sogar noch häufiger. Bei meinen Eltern hing damals ein ganz ähnliches Ungetüm, das dann auch tatsächlich erst vor einigen Jahren einer moderneren Variante weichen musste.
Fortsetzung folgt...