Messen mit zweierlei Maß

Wenn das Jugendamt zweimal klingelt - Teil 2

 

Ich bin beruflich unterwegs, in Gedanken aber immer noch beim überfallartigen Besuch des Jugendamtes und einigermaßen sauer auf die offensichtlich voreingenommenen Mitarbeiter. Daher kann ich mich auch nicht zurückhalten als ich mich später noch mit einem Bekannten unterhalte und erzähle ihm die Geschichte. L. ist Sohn eines französischen Vaters und einer deutschen Mutter und durchaus in beiden Kulturen zuhause.

 

„So ärgerlich das alles ist“, sagt er mir, „hier in Deutschland hast du noch Glück mit den Behörden.“ Als Glück hatte ich die haltlosen Vorwürfe bisher nicht angesehen, gebe ich zurück. Und überhaupt: wenn uns bis jetzt jemand das Leben schwer gemacht hat, dann waren das unflexible Mitarbeiter bei allen möglichen Ämtern. „Weißt du“, erzähle ich, „egal, wenn wir bisher um Hilfe oder Rat gebeten haben, die ganz große Mehrheit hat immer alles getan, um F. und D. zu unterstützen. Insbesondere Leute mit arabischen oder türkischen Wurzeln haben sich immer geradezu ein Bein ausgerissen. Nur bei den Behörden beißen wir immer wieder auf Granit und bekommen das Gefühl vermittelt, wir verlangen Unmögliches.“

 

L. nickt, wirft dann aber ein: „Eben. Viele hier haben einfach keinen Bock, sich zu bemühen und wollen euch abwimmeln. In Frankreich ist das aber noch viel schlimmer. Dort ist es ganz normal, Rassist zu sein und das andere auch spüren zu lassen.“ Das gibt mir jetzt doch zu denken. „Nicht ohne Grund fährt Le Pen so gute Wahlergebnisse ein“, fügt L. hinzu, „und nicht ohne Grund passierten die meisten Terroranschläge in den letzten Jahren bei uns. Ob du es glaubst, oder nicht, aber was die Integration von öffentlicher Seite angeht, gibt sich Deutschland wahrscheinlich von allen europäischen Ländern noch die größte Mühe.“

 

Mühe geben alleine reicht aber nicht, kontere ich, manchmal habe ich das Gefühl, ohne Ehrenamtliche würden viele Flüchtlingsfamilien an unserer Bürokratie völlig verzweifeln und am Ende als unintegrierbar eingestuft werden, bloß weil sie Formblatt XY nicht richtig ausgefüllt haben. Genau das sei in Frankreich der Normalfall, meint L., während hier ja wenigstens ab und zu hilfsbereite Menschen hinter den Schreibtischen sitzen.

 

 

Ich beschließe, optimistisch zu bleiben und fahre einigermaßen beschwichtigt nach Hause, wo mich Rainer auf dem Anrufbeantworter um Rückruf bittet. „Das Jugendamt war gerade wieder da“, begrüßt er mich als er gleich nach dem ersten Klingeln abhebt. „Du verarschst mich“, platzt es aus mir heraus. Leider nicht. Die zwei Mitarbeiter waren in der Tat erneut bei D. und F., weil sie den Vater und mutmaßlichen Täter ja beim ersten Besuch nicht angetroffen haben und der Fall somit noch nicht abgeschlossen war.

 

Allerdings hatten sie den beiden ihren Besuch diesmal angekündigt, vermutlich um sicherzugehen, dass diesmal auch wirklich beide Eltern zuhause sind. Daher hatte F. Kuchen gekauft und Kaffee gekocht und D. hatte Rainer angerufen und ihn zur Unterstützung dazugebeten. Freunde einzuladen ist ja sein gutes Recht, finde ich, die Mitarbeiter des Jugendamtes sahen das allerdings anders und waren wohl ziemlich – nun, sagen wir mal – angepisst.

 

„Mit mir wollten sie eigentlich gar nicht reden“, erzählt mir Rainer immer noch vollkommen aufgebracht, „auch als ich ihnen angeboten habe, ihnen das beschissene Bett zu zeigen, haben sie mich vollkommen ignoriert.“ Stattdessen haben sie F. und besonders D. unmissverständlich klargemacht, dass Eltern in Deutschland ihre Kinder nicht schlagen dürfen.

 

„Da bin ich dann ziemlich deutlich geworden und haben denen gesagt, was ich von solchen Unterstellungen halte“, erzählt Rainer weiter. „Gut so!“, platzt es aus mir heraus. Auch wenn ich nicht dabei war, kann ich mir die Szene dank seiner Schilderung bildlich vorstellen und merke, wie sich auch in meinem Bauch Wut zusammenballt. „Hat allerdings nichts gebracht. Als Antwort bekam ich dann nur wortwörtlich zu hören, sie könnten auch anders und es gebe Mittel und Wege, die Familie zu kontrollieren, wenn wir uns nicht kooperativ zeigen.“

 

 

Für einen Moment weiß ich darauf nichts zu sagen. All der Optimismus, den ich dank L. hatte, verpuffte geradezu explosionsartig. Zurück blieb Wut, Fassungslosigkeit und ein ziemlich schneller Entschluss. „Das können wir so nicht auf uns sitzen lassen!“, entschied ich. Zu genau dieser Erkenntnis war Rainer auch schon gekommen. Er wollte sich in einem Brief an die Behörde wenden und auch nicht locker lassen, eher er nicht eine Antwort bekam, wie so etwas passieren darf, obwohl nachweislich kein Grund für ein Eingreifen des Amtes vorlag.

 

Ich hingegen entscheide, mal wieder offiziell als Pressefuzzi aufzutreten und mich mit der Führungsebene in Verbindung zu setzen. „Da bekomme ich vielleicht schneller eine Reaktion“, vermute ich, „denn eine Schlagzeile 'Jugendamt misst bei Deutschen und Ausländern mit zweierlei Maß' wollen die bestimmt nicht riskieren.“ Trotz der berechtigten Aufregung beschließen wir allerdings, doch noch ein paar Tage zu warten, bis wir die Diskussion etwas weniger emotional angehen können. „Egal, was wir tun, wir dürfen D. und F. damit auf keinen Fall schaden“, mahne ich. Rainer macht das nur noch wütender. „Genau das ist ja das Problem“, poltert er, „die rühren sich entweder gar nicht oder aber kommen dir so und du kannst kaum etwas machen, weil die Herren Beamten am längeren Hebel sitzen.“ Je länger mir dieser Satz in den Ohren nachklingt, desto mehr Vertrauen in unseren Staat frisst er auf.