Land des Lächelns - Teil 2
Während die Kinder von uns allen lange nicht mehr gesehen werden, landen die ersten Bratwürste auf dem Grill, wir alle stoßen an und es wird munter drauflos geplaudert. F. und D. sind deutlich ruhiger, können unseren Gesprächen leider nur unzureichend folgen. Aber die nette Stimmung bekommen sie natürlich mit und immer mal wieder versuchen wir, auch sie in die Gespräche einzubeziehen. Dazu müssen wir alle ein wenig langsamer und vor allem nicht durcheinander reden. Wäre umgekehrt in Syrien sicher nicht anders.
Grundsätzlich ärgere ich mich manchmal, dass D. in seinem Sprachkurs nicht deutlichere Fortschritte macht. Er beklagt sich zum einen darüber, dass Deutsch leider eine sehr komplizierte Sprache ist, zum anderen ist ihm der Unterricht viel zu theoretisch und er glaubt, bei normalen Unterhaltungen mit Nachbarn oder beim Einkaufen hilft ihm das Gelernte zu wenig weiter. Erinnert mich ehrlich gesagt sehr an meine eigene Schulzeit. In Englisch wollte ich immer das lernen, was mir half, Songtexte, die mich interessierten, oder andere Dinge aus meiner direkten Lebenswelt zu übersetzen. Die im Unterricht gelehrte Grammatik interessierte mich herzlich wenig. Leider schlug sich das auch in den Zeugnissen nieder.
Heute bin ich ehrlich gesagt froh über viel Theorie. Zwar fehlt mir inzwischen wieder die Sprachpraxis, weil ich mich nun mal selten auf Englisch unterhalte, aber all das, was ich in Englisch strukturell lernte, hat mir nicht zuletzt im Studium weitergeholfen, weil ich ja Deutsch nie systematisch erlernt hatte. Insofern kann ich D. und F. nur immer wieder zureden, sich durch den Stoff zu beißen.
Apropos beißen, als wir mit dem Essen fertig sind, holt Rainers Bruder Zigarren hervor und bietet uns zur Feier des Tages eine an. Ich verzichte, da ich immer ein wenig Angst habe, nach einer Zigarre auch wieder Lust auf Zigaretten zu bekommen. D. greift aber gerne zu und genießt dann in vollen Zügen. Ich wiederum sehe zu Rainer rüber, der ebenfalls eine pafft und ich glaube, wir beide genießen in diesem Moment, dass der Abend so wunderbar gelaufen ist.
Noch schöner wird es als wir nach langem Kampf die Kinder von den Pferden loseisen können und D. auf dem Heimweg noch einmal bekräftigt, wie gut ihm der Abend gefallen hat. Dann aber fügt er noch einen Satz hinzu, der mich nachdenklich macht. „Die Deutschen sind alle so nett.“ Jeder hier würde gleich lächeln, das sei in Syrien anders, sagt er. Ich zucke mit den Schultern, lasse es aber so stehen. Wenn ich mich in den sozialen Medien umsehe oder die Nachrichten im Fernsehen gucke, bekomme ich im Moment einen ganz anderen Eindruck. Ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, dass sich unsere Willkommenskultur innerhalb weniger Monate in eine gespaltene Gesellschaft gewandelt hat, in der Parolen in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen sind, die es viele Jahrzehnte davor nicht gab.
Überhaupt habe ich uns Deutsche eigentlich nie als besonders freundliches, offenes oder herzliches Völkchen empfunden. Nun halte ich nichts von Verallgemeinerungen, aber mir schien trotzdem der Großteil derer, die mir so auf den Straßen entgegenkommen, eher verkniffen und alles andere als nett. Selbst im eigenen Freundeskreis habe ich einige Leute, bei denen das Glas grundsätzlich halb leer ist und die die Enttäuschung darüber deutlich nach außen tragen.
D.s Satz fällt mir nach ein paar Tagen wieder ein. Unser Ministerpräsident ist in der Stadt, macht Wahlkampf und ich darf darüber berichten. In diesem Fall trifft er auf eine Gruppe amerikanischer Austauschschüler, die auch gerade hier weilt. (Sorry, aber der Wortwitz musste sein.) Erst einmal bin ich beeindruckt, dass Stephan Weil erst kurz zuvor erfährt, um was es bei dem Termin geht und dann aber ziemlich elegant auf englisch mit den Jugendlichen über Politik hüben und drüben plaudert.
Noch mehr beeindruckt mich aber der Inhalt dieser Diskussion, denn die US-Kids beklagen sich mehr als deutlich über die Wahlkämpfe in ihrer Heimat, nicht nur über den jüngsten und dessen Resultat, sondern generell wie die Politik sich dort verkaufe. Dagegen loben sie unsere Politik des Konsens zwischen allen Parteien und loben sogar das Kanzlerduell zwischen Merkel und Schulz. Weiter überrascht mich, was sie grundsätzlich über Deutschland sagen, nämlich: „Die Deutschen sind alle so nett und jeder hier lächelt immer gleich.“ Stephan Weil ist darüber ebenso erstaunt wie ich, freut sich dann aber über diese Außenwahrnehmung.
Später denke ich mir, dass auch ich mich einfach freuen sollte. Vielleicht muss ich mein eigenes Bild meiner Heimat noch einmal überdenken. Hier in der Region treffe ich ja tatsächlich meist auf freundliche und aufgeschlossene Menschen. In meinem Job habe ich bis jetzt selten jemanden erlebt, mit dem sich kein nettes Gespräch und daraus dann eben auch ein positiver Pressetext ergeben hat.
Möglicherweise haben wir uns ja auch verändert und sind gar nicht mehr die unfreundlichen Deutschen, die wir vielleicht einmal waren. Von Ausnahmen einmal abgesehen. Aber ein Volk kann sich ja durchaus auch ändern oder wird sogar logischerweise durch die sich wandelnde Welt verändert. Seit der Zeit des Wirtschaftswunders als viele nur rücksichtslos nach vorne strebten, hat sich viel verändert. Einiges sicher zum Negativen, aber manches vielleicht auch positiv. Zumindest würde ich mich drüber freuen, wenn es so ist und sich unterm Strich nicht nur die Hassparolen, sondern auch unsere Herzlichkeit vermehrt haben.