Blick zurück nach vorn

Rufmord, Mord und Nächstenliebe - Teil 3

 

Vor unserem Krimifestival habe ich allerdings noch eine Podiumsdiskussion mit den hiesigen Bundestagskandidaten vorzubereiten. Möglicherweise war es etwas leichtfertig von mir, für die Moderation zuzusagen, andererseits kann ich mir eine solche Chance ja auch nicht entgehen lassen. Und schlechter als die Kanzlerduelle im Fernsehen kann es eigentlich nicht werden, sage ich mir immer wieder.

 

Am Tag der Tage haben die Kandidaten aller Parteien zugesagt, auch der Herr von der AfD, der angeblich noch nie in einer solchen Runde aufgetaucht ist. Ich habe mir ganz fest vorgenommen, ihn sehr neutral zu behandeln und vor allem, ihn auch zu anderen Themen als zu Flüchtlingen und Migration zu befragen. Meiner Meinung nach bin ich recht gut vorbereitet und die Diskussion läuft auch einigermaßen gut an. Manchen Redner muss ich unterbrechen, weil er sich in einer rhetorischen Endlosschleife verliert, andere muss ich mit einigem Nachhaken dazu bringen, nicht immer wieder in auswendig gelernte Wahlkampfreden zu verfallen, aber im Großen und Ganzen läuft es gut.

 

Der AfD-Mann weiß aber auch genau, wie er provoziert und schafft es relativ schnell, einige aus der Runde und vor allem aus dem Publikum gegen sich aufzubringen. Die ereifern sich, während der Kandidat auffallend ruhig bleibt und sich mehr und mehr auf seine Außenseiterposition zurückzieht. „Lassen Sie mich doch auch einmal zu Wort kommen“, beklagt er sich mehr als einmal. Lasse ich. Zum Thema Rentenkonzept seiner Partei hat er allerdings nicht viel zu sagen. Dennoch merke ich, dass mir die Diskussion langsam entgleitet. Wie auch in den großen Medien geht es plötzlich nur noch darum, wie rechts, wie rassistisch, wie schlimm die AfD ist. Genau das habe ich eigentlich vermeiden wollen.

 

 

 

Im Schlussstatement macht der Kandidat dann noch einmal sehr deutlich, was seine Ansichten sind. „Wenn Sie nicht wollen, dass in ein paar Jahren die Muslime in Deutschland in der Mehrheit sind und uns aus unserem eigenen Land vertreiben, dann müssen Sie meine Partei wählen“, sagt er und lässt mich erschöpft, fassungslos und angewidert die Veranstaltung beenden. Abends fahre ich dann noch zu F. und D. und erzähle bewusst nichts von den Strömungen, die es in der deutschen Politik eben auch gibt. Stattdessen genieße ich es, dass die Kinder in der Mehrheit sind und wir ein wenig um den besten Platz auf dem Sofa kämpfen könne, von dem sie mich immer wieder vertreiben.

 

Ich genieße das gemeinsame Toben besonders, denn auch in den folgenden Tagen habe ich wegen unseres Festivals schon wieder keine Zeit für irgendetwas anderes. Das Festival selbst genieße ich allerdings auch, vor allem, weil wir in diesem Jahr mal wieder tolle Autoren dabei haben. Unter anderem eben Zoë Beck. Sie liest aus ihrem neuen Thriller, in dem es um Drogenpolitik und eine immer resoluter werdende Gesellschaft geht. Im anschließenden Talk erläutert sie, wie sie auf ein solches Thema kommt und dass Literatur für sie eben immer auch eine politische Seite hat.

 

Zwischendurch kommen wir auch auf die anstehende Wahl zu sprechen und sie betont in einem Nebensatz, wie wichtig es ist, überhaupt wählen zu gehen. „Aber bitte“, sagt sie ans Publikum gewandt, „wählen Sie keine Parteien rechts von der CDU, was dabei herauskommen kann, lesen Sie ja in meinem Buch.“ In der anschließenden Pause werde ich von zwei Besuchern angesprochen, die jetzt unbedingt mal ihren Frust loswerden möchten. „Wie kann die Frau es wagen, eine Wahlempfehlung auszusprechen und dann auch noch die AfD so zu verunglimpfen“, empören die beiden sich, das sei mehr oder weniger Rufmord und stehe einer Autorin nicht zu.

 

Dieser Ausbruch lässt mich erst einmal ratlos zurück. „Was 'n los?“, fragt mich Zoë, die merkt, dass ich in Gedanken bin. Kurz erzähle ich ihr vom Feedback unserer Zuhörer, worauf nun auch sie etwas aufgebracht reagiert. „Das war nicht einmal eine Wahlempfehlung. Wenn die sich angesprochen fühlen, dann sollten sie vielleicht einfach mal drüber nachdenken“, sagt sie. „Stimmt, aber wenn ich drüber nachdenke, dann juckt es mir in den Fingern, noch einmal dazu ganz direkt dazu aufzurufen, nicht die AfD zu wählen“, gebe ich zurück. Sie ist mir mir vollkommen einer Meinung. „Von mir aus stelle ich mich den ganzen Abend auf die Bühne und gebe Wahlempfehlungen gegen rechte Parteien“, bietet sie an.

 

 

 

Geht aber leider nicht, denn jetzt ist Volker Kutscher mit seiner Lesung dran. Und der ist immerhin eines der Highlights unserer drei Festivaltage. Immerhin sind seiner Bücher um Kommissar Gereon Rath in den 1930er Jahren allesamt Bestseller und außerdem steht die Serie „Babylon Berlin“, die auf seinen Krimis basiert, gerade in den Startlöchern und ist in allen Feuilletons Thema. Im Buch und jetzt auch in der Lesung beeindruckt mich besonders, wie er seinen Ermittler zuhause mit der Familie über die immer deutlicher in Erscheinung tretenden Nazis diskutieren lässt. Der Sohn möchte in die Hitlerjugend eintreten, weil da eben alle mitmachen, Gereon Raths Frau ist strikt dagegen und er selbst weiß nicht, was so schlimm daran sein soll.

 

Selten habe ich Geschichte aus dieser Zeit so wenig historisch und dafür aber lebensnah beschrieben gehört. Der moralische Zeigefinger und der besserwisserische Blick aus heutiger Zweit fehlt hier völlig, was es umso eindringlicher macht. Auch im Interview beeindruckt Volker Kutscher mich, weil er eben auch da sehr zurückhaltend ist und sich nicht wie so viele andere – und ich zähle mich leider dazu – von gewissen Umständen oder Meinungsäußerungen provozieren lässt und dann anfängt, die eigene Meinung auszuwalzen. Bei ihm habe ich das Gefühl, er möchte seine Leser nicht beeinflussen, sondern tatsächlich nur zum Nachdenken bringen. Das bewundere ich zutiefst.

 

„Geschichte wiederholt sich nicht, das wäre zu einfach“, sagt er, „Aber geschichtsvergessende Menschen neigen leider dazu, Fehler zu wiederholen.“ Am Abend nach dem Abbau rede ich noch lange mit ihm und Zoë über Politik im Allgemeinen, über die Situation, in der wir unser Land im Moment sehen, und über diejenigen, die Meinungsfreiheit für sich einfordern, aber sie anderen nicht gewähren wollen. Es scheint leider wirklich so zu sein, dass wir uns in einer Zeit befinden, die dazu verlockt, längst vergangene Fehler noch einmal zu machen.