Vor der Bildung steht der Konsum

Der Ernst des Lebens beginnt - Teil 1

 

S. kommt in die Schule. Endlich ist es soweit, sie freut sich, dass sie den Kindergarten erfolgreich absolviert hat und auch ihre Eltern und ebenso wir sind absolut stolz auf unsere Große. Das zumindest ist das erste Gefühl. Das zweite ist dann der Schreck vor allem, was noch zu erledigen ist. Dabei sind die Anmeldungen und alles Formale ausnahmsweise mal nicht das Problem. Die zukünftige Klassenlehrerin, die Rektorin und nicht zuletzt die Sekretärin der Grundschule sind hier äußerst hilfsbereit und wissen auch genau, was zu tun ist. Schließlich ist S. nicht das erste Kind, das sie einschulen und eben auch nicht das erste, dessen erwachsene Bezugspersonen leicht überfordert sind.

 

Die Überforderung zeigt sich dann am deutlichsten als wir feststellen, was noch alles angeschafft werden muss. Zunächst mal braucht S. unbedingt einen Schulranzen. Da natürlich nicht irgendeinen, sondern einen, mit dem sie sich vor ihren Freundinnen nicht blamiert. Waren die Dinger zu meiner Zeit eigentlich auch schon so teuer? Und gab es damals auch schon so viele verschiedene Modelle mit unterschiedlichen Funktionen, die der Fachverkäufer alle in einem wissenschaftlich anmutenden Vortrag erläutert? Es gibt sogar Ranzenpartys, auf denen die augenscheinlichen Hightech-Produkte vorgeführt werden, diejenigen mit besonderen ebenso wie diejenigen mit integrierter Tasche für das Pausenbrot und etliches mehr.

 

Also ehrlich, da fehlt doch bloß noch der Raketenantrieb, den sie vor der Wohnungstür startet und der sie dann vor der Schultür wieder sicher absetzt. Ich glaube sogar, dass ein solches Modell gekauft werden würde, womit dann der Begriff „Helikoptereltern“ eine völlig neue Bedeutung bekommen würde. Wir entscheiden uns am Ende trotzdem für eine mittelpreisige Version. Das ist aus wirtschaftlicher Sicht vielleicht nicht ganz klug, aber auch F. und D. sind ja der Meinung, dass es ihren Kindern an nichts mangeln soll.

 

 

Sehe ich auf jeden Fall genauso. Schon als ich klein war, gab es bei uns zuhause immer diese Diskussionen, ob dieses oder jenes sein muss und Belehrungen, dass ich nicht jeden Trend mitmachen muss bzw. dass die Anerkennung der Klassenkameraden meinen Werkt als Mensch nicht ändert. Eltern können ja so irren! Damals wie heute gab es kaum Entscheidenderes als dazuzugehören, zumindest aber nicht der Außenseiter zu sein. Und natürlich definierten sich die Außenseiter zunächst einmal über Statussymbole. Wer bestimmte Markenprodukte nicht hatte, der war freigegeben zum Mobbing, was damals allerdings noch nicht so hieß und auch noch nicht so geahndet wurde wie heute.

 

Letztlich ist es in unserer Gesellschaft der Erwachsenen nichts anderes. Dein Auto sagt deutlich mehr über dich aus als eine Fülle von Charaktereigenschaften, Kleider machen Leute und der äußere Schein entscheidet oft viel mehr über deine Karrierechancen als spezifische Fähigkeiten. Das zumindest hatten D. und F. in ihrer Zeit hier bereits gelernt, auch wenn sie dieser Erkenntnis viel weniger Bedeutung beimaßen als viele Deutsche es unterbewusst doch tun.

 

Jedenfalls bin ich der festen Überzeugung, dass Kinder es deutlich leichter haben, wenn man ihnen den Schritt in unsere Konsumwelt nicht verwehrt. Damit sie nicht wie Schafe in diesem System mitlaufen und irgendwann aus Versehen selbst zu Wölfen werden, sollte man es ihnen aber auch sehr intensiv erläutern und als verlogene Scheinwelt zeigen. Doch das ist eine andere Sache. Dazu haben wir bei unseren Vorbereitungen auf die Einschulung sowieso keine Zeit.

 

 

Vielmehr sind wir alle vier damit beschäftigt, die Hefte mit der richtigen Lineatur zu suchen, Mappen und allen Farben des Regenbogens – natürlich aus Pappe, der Umwelt wegen – und dann Bunt- und Bleistifte im richtigen Härtegrad, verschiedene Pinsel und allerlei übriges Zeug zu beschaffen. Wenn wir die Tüten ansehen, die sich mittlerweile in der Küche stapeln, glaube ich, dass sich selbst in einem Großraumbüro nicht annähernd so viel Büromaterial befindet wie im Besitz eines Schulanfängers.

 

S. packt voller stolz immer wieder neue Dinge in ihren pinkfarbenen Prinzessinnenranzen und schultert ihn, um dann ob des Gewichts hintenüber zu fallen und wie ein Käfer auf dem Rücken zu liegen. Vielleicht ist gerade dieses Gefühl ja auch gewollt und soll die Kinder schon einmal auf das vorbereiten, was im Leben noch auf sie zukommt.

 

Je näher der große Tag rückt, desto aufgeregter werden wir alle und auch A. und M. haben wir inzwischen damit angesteckt. A. will es möglichst bald ihrer großen Schwester gleichtun und freut sich schon jetzt darauf, wenn auch sie in einem Jahr diese Schwelle zum Erwachsenwerden erreicht. Für uns wird das zugegebenermaßen mehr und mehr zu einer Horrorvision. M. hingegen bleibt locker und stellt immer mal wieder fest, dass es im Kindergarten viel schöner ist, weil es da Spielzeug statt Schulbüchern gibt. Kluges Kind.

 

Fortsetzung folgt...

 

Anmerkung: Ja, ich weiß, dass die Geschichte von der Einschulung etwas zu spät kommt. Aber wie gesagt, hatte ich in den vergangenen Monaten wenig Zeit - leider auch für diesen Blog - und außerdem habe ich nie behauptet, unsere Erlebnisse in Echtzeit zu erzählen. Daher hoffe ich also, ihr seht es mir nach.