Arbeit kommt, Arbeit geht - Teil 2
Am nächsten Morgen schlage ich gemeinsam mit ihm noch einmal im Dönerladen auf und wir versuchen, die ganze Situation zu erklären und eine zweite Chance herauszuhandeln. „Es kommt nicht wieder vor, versprochen“, beteuern wir auf Deutsch. Was D. mit dem Inhaber auf Kurdisch bespricht, verstehe ich leider nicht. Leider aber wohl die Gesichtsausdrücke der beiden. Und die verraten eindeutig, dass es keine zweite Chance geben wird.
Am Ende kommt der Inhaber noch einmal auf mich zu. „Es ist ja nicht nur, dass er nicht abgesagt hat“, erklärt er mir, „D. spricht auch einfach noch nicht gut genug Deutsch. Das kann ich nicht machen, denn wenn ich Kunden habe, muss er deren Bestellungen verstehen und auch darauf antworten können.“ So leid es mir für D. tut, aus unternehmerischer Sicht kann ich den Mann sogar verstehen. Ich nehme ihm ab, dass er D. gerne eine Chance geben würde, aber leider gibt es eben auch etliche andere Flüchtlinge, die ihre Sprachkurse bereits absolviert haben und dementsprechend zuverlässiger sind. Schade.
„Ich muss besser und schneller lernen, dann klappt es beim nächsten Mal“, erklärt D. als wir wieder zuhause sind. Seine Mutlosigkeit ist gewichen und ich spüre sowas wie Entschlossenheit. Deutschland gibt ihm Chancen, mehr als sein Heimatland, eine davon will er nutzen, erklärt er mir. „Erst mache ich meine Schule, dann kaufe ich mir ein Auto, dann suche ich mir einen Job. Das Geld spare ich, damit ich mir ein Haus kaufen kann und damit es meinen Kindern hier gutgeht.“ An der Reihenfolge seiner Vorhaben könnten sich vielleicht noch geringfügige Änderungen ergeben, bremse ich ihn. Außerdem muss unbedingt auch F. noch unsere Sprache lernen, damit sie sich unter Leute traut. Es ist also wohl doch noch ein langer Weg, der sich für mich im Moment wie ein endloser langer Tunnel anfühlt.
Zunächst einmal führt dieser Tunnel durch zahlreiche Anträge, die as am Nachmittag noch auszufüllen gilt, damit D. und seine Familie überhaupt ihr Geld bekommen. Rainer ist inzwischen ein wahrer Fachmann, habe ich das Gefühl, während ich selbst dann immer froh bin, bis jetzt noch nie Hartz IV beantragt zu haben bzw. es noch nie musste. „Wie sollen das eigentlich diejenigen Flüchtlinge schaffen, die keine deutschsprachigen Helfer an ihrer Seite haben?“, frage ich immer wieder. „Gar nicht“, antwortet Rainer trocken und mit ein wenig Zynismus in der Stimme, „es gibt ja schon genügend Deutsche, die nicht genau wissen, was sie alles beantragen können und denen damit vieles durch die Lappen geht.“
Je mehr ich über diese Dinge nachgrüble, desto kritischer stehe ich der Bürokratie in unserem Land gegenüber. Und wenn ich dann noch in der Zeitung lese, dass die Schere zwischen arm und reich fast nirgendwo so weit auseinanderklafft wie in unserem reichen Deutschland, dann macht mich das echt wütend. Weniger als 50 Personen besitzen in unserem Staat so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung, habe ich neulich gelesen. Wahrscheinlich sind das genau die 50 Personen, die genau wissen, wie sie welche Anträge auszufüllen haben, um Vergünstigungen zu bekommen, Steuern zu sparen und überhaupt all das absahnen, was andere sich hart erarbeiten.
Immerhin habe ich selbst lange genug für einen Arbeitgeber gearbeitet, der auf der einen Seite zu den größten Medienverlagen des Landes gehörte, aber andererseits aus dem Tarifvertrag ausgestiegen ist, weil er sich das angeblich nicht leisten konnte. Am Ende habe ich dort für geringfügig weniger Gehalt gearbeitet als ich mit Hartz IV bekommen hätte und durfte scheinheilig über die Tarifverhandlungen anderer Branchen schreiben, bei denen sich die Zeitung über schlechte Arbeitsbedingungen ausließ.
Bevor ich mich jetzt in dieses Thema hineinsteigere, setzt D. an, wie dankbar er ist, dass er hier in Deutschland überhaupt Geld vom Staat bekommt. In Syrien sei das nicht so. Gerade als Kurde dürfe er dort auf keinerlei Unterstützung hoffen, ganz im Gegenteil. „Meine Schwester hat eine lange Ausbildung als Krankenschwester gemacht“, erzählt er, „aber als sie damit fertig war, durfte sie nicht arbeiten, weil sie Kurdin ist.“
Auch er selbst hätte in seiner alten Heimat kaum eine Chance, sich einen Beruf auszusuchen, sagt er. Zum einen würden ihm auf vielen wegen Steine in den Weg gelegt, zum anderen musste er schon früh arbeiten, damit die Familie überhaupt über die Runden kam. Genau aus diesem Grund sei er ja auch bereit, hier in Deutschland jeden erdenklichen Job anzunehmen, wenn er denn seine Familie davon ernähren kann.
Überhaupt sei Deutschland ein so tolles Land, fügt er noch hinzu, nicht etwa weil er hier Unterstützung des Staates bekommt, sondern weil hier alle Menschen gleich behandelt werden und jeder die gleichen Chancen hat – Männer und Frauen. In seiner Euphorie wage ich es nicht, etwas Einschränkendes dazu zu sagen. Im Grunde stimmt es ja. Auch wenn unser System in vielem vielleicht etwas behäbig und verkopft ist, so grenzt es prinzipiell niemanden aus und ermöglicht ein Leben, von dem so viele Menschen auf dieser Welt nur träumen können.