Bei Anruf Angst - Teil 1
„Meine frühere Frau hat angerufen!“, begrüßt mich D. mit einiger Aufregung schon auf der Straße, noch bevor ich mein Auto richtig geparkt hatte. Es ist genau jene Situation, mit der wir schon lange gerechnet haben. „Sie ist jetzt in Deutschland“, fügt D. hinzu, also genau das, was ich geahnt habe. Und seine zitternde Stimme bestätigt mich in meiner Annahme, dass die Geschichte jetzt erst losgehen wird.
Nun wusste ich ehrlich gesagt nicht viel über D.s erste Ehe mit der Mutter seiner Kinder. Nur, dass sie ihn verlassen hatte, um allein nach Europa zu gelangen, er plötzlich mit drei Kleinkindern alleine dastand und schließlich F. kennenlernte. Bereits als er uns das zum ersten Mal erzählte, stellten Rainer und ich uns darauf ein, dass diese Geschichte uns irgendwann einholen könnte. Jetzt war es also soweit.
Als wir nach oben gehen, erzählt er noch einmal genauer, was passiert ist. Dass seine erste Frau in Europa ist, hatte er schon früher erzählt und auch, dass sie nicht wissen soll, wo er sich genau aufhält. Ansonsten weiß ich eben nur, dass diese Frau ihn und die Kinder damals verlassen hat, um allein aus dem Kriegsgebiet zu fliehen.
Da ich weder die Umstände in Syrien und im Nordirak genau kenne, noch die persönlichen, erlaube ich es mir nicht, ein moralisches Urteil zu fällen. Vermutlich gibt es wie bei jeder Geschichte zwei Seiten und vermutlich ist in diesem Fall alles recht komplex, zu komplex jedenfalls als dass ich mir überhaupt ein Bild machen könnte. Überhaupt bin ich ja der Meinung, dass wir Mitteleuropäer uns immer viel zu schnell ein Bild von allen möglichen Konfliktregionen in der Welt machen und unsere Maßstäbe und Wertvorstellungen anlegen, um Zusammenhänge zu bewerten, von denen wir schlicht keine Ahnung haben.
Doch darum geht es jetzt nicht. Jetzt geht es darum, dass D.s frühere Frau in Deutschland ist und zu ihm Kontakt aufgenommen hat. Bis jetzt habe sie sich nur erkundigt, ob es ihm und den Kindern gutgehe und ihrerseits vermeldet, dass sie wohlbehalten aus der Heimat geflohen und Europa durchquert hat. Doch dabei wird es nicht bleiben. Das weiß ich und das weiß auch D.
F. weiß das auch, doch sie sagt an diesem Tag wenig, hält sich sehr zurück, vielleicht auch vor allem Rainer und mir gegenüber. Auch das ist wieder mal ein Zug an ihr, den ich sehr bewundere. Gerade, wenn ich bedenken, wie ich mit Anfang Zwanzig war. Auf keinen Fall wäre es mir damals gelungen, die Verantwortung für drei Kinder zu übernehmen, aus der Heimat zu fliehen und mir in einer fremden Kultur ein neues Leben aufzubauen.
In den kommenden Wochen könnte dieses neue Leben komplett auf den Kopf gestellt werden, doch F. bleibt besonnen. Das nötigt mir ein großes Maß an Bewunderung ab, vor allem, weil ich ahne, dass gerade sie sich so manches hier anders und wahrscheinlich leichter, unbeschwerter vorgestellt hat.
Manchmal frage ich mich, wie es wohl war als D. sie nach der Flucht seiner ersten Frau kennengelernt hat. Hat sie sich so sehr in ihn verknallt, dass ihr alles andere egal war? Oder ahnte sie, worauf sie sich einlässt und hat es in Kauf genommen, weil sie wusste, das sie stark genug dafür ist? D. scheint mir im Moment jedenfalls nicht stark.
„Sie ist eine falsche Frau, eine böse Frau, ich habe Angst“, sagt er schließlich über die Mutter seiner Kinder. Wahrscheinlich spielt dabei auch die Verbitterung eine Rolle, dass sie ihn wohl von einem Tag auf den anderen mit den Kindern allein ließ. Damals lebten sie im Nordirak, erzählte er mir, weil sie als Kurden in Syrien große Angst vor den sich anbahnenden Veränderungen im Land hatten. Doch auch im Irak wurde die Lage bedrohlicher, was wohl der Grund für die Flucht war.
Für einige Zeit lebte D. mit den Kindern in einer Wellblechhütte und eine Weile sogar in einem Zelt. Davon hat er mir Fotos gezeigt. Diese Fotos hat er auf seinem Handy gespeichert, gleich neben Videos vom farbenfrohen Haus seiner Eltern vor dem Krieg und von pompösen Hochzeiten zu Zeiten als die Unruhen gerade erst begannen. Fotos vom Krieg selbst habe ich mal auf dem Handy eines Irakers sehen dürfen/müssen. Bilder aus Bagdad, auf denen all das zu sehen war, was selbst die Nachrichtensendungen hier nicht ausstrahlen.
Wie viele solcher Bilder D., F., seine frühere Frau und die Kinder gesehen hatten, kann ich nur mutmaßen. Direkt danach zu fragen traue ich mich bis heute nicht. Zumindest aber gehe ich davon aus, dass es durchaus gute Gründe für jeden gibt, aus Angst um Leib und Leben, dieses Land zu verlassen und nach einem sicheren Ort zu suchen. Ob es auch Gründe für eine junge Mutter gibt, ihre drei Kinder dort zurückzulassen, da bin ich mir nicht sicher. Aber, wie gesagt, ich kenne die Umstände nicht.
Fortsetzung folgt...
Anmerkung: Das Bild oben stammt vom syrischen Künstler Aiman Aldarwish, der nach seiner Ankunft in Deutschland mit seiner Familie in einer Erstaufnahmestelle im Harz untergebracht
war. Dort knüpfte er erste Kontakte, die schließlich dazu führten, dass er seine Bilder hier ausstellen konnte und somit auch weiterhin seiner Passion nachgehen konnte. Ihn und seine Werke lernte
ich in St. Andreasberg kennen und muss zugeben, dass ich seitdem ein bisschen Fan von seiner Kunst bin.