Die Zukunft ist ungewiss

Bei Anruf Angst - Teil 2

 

Erst einmal vergeht etwas Zeit, ohne dass wir wieder von der Mutter der Kinder hören. Rainer und ich sind uns aber sicher, dass sie sich wieder melden wird. Und D. und F. wissen es auch. Dennoch ziehe ich es vor, mit ihnen nicht weiter darüber zu sprechen. Zum einen könnten wir in etwas herumstochern, das die beiden nur noch mehr beunruhigt, zum anderen weiß ich gar nicht so genau, ob ich überhaupt das Recht dazu habe, in einer so persönlichen Sache weiter zu bohren.

 

Rainer sieht das allerdings deutlich pragmatischer. So möchte er am liebsten, dass wir uns einen Plan zurechtlegen, für den Fall, dass sich die Frau wieder meldet. Außerdem regeln wir die Überweisungen des Hartz IV auf D.s Konto und kümmern uns auch um seine Ausgaben oder vielmehr darum, dass diese Ausgaben nicht zu viel werden. Hier in Deutschland ist das wahrscheinlich das Persönlichste, was man überhaupt für jemanden tun kann.

 

Wenn ich überlege, dann weiß ich von keinem meiner Freunde, wie es auf deren Konten aussieht und auch nicht bei meiner Familie. Persönliche Lebenskrisen wie Scheidungen, Sorgerechtsstreit und manches andere, weiß ich von vielen aus meinem engeren Umfeld allerdings doch. Ist es also normal, dass der Kontostand privater ist als die seelischen Nöte und Sorgen? Oder ist das ein Zeichen dafür, wie seltsam verdreht unsere Welt eigentlich ist?

 

 

Bei mir ist es eigentlich generell so, dass ich die meisten Probleme mit mir selbst abmache und kaum jemandem davon erzähle. Es fällt mir ehrlich gesagt schwer, um Hilfe zu bitten, nicht, weil ich zu stolz dazu wäre, sondern vielmehr, weil ich niemanden damit belasten will. Umgekehrt lasse ich aber meist alles stehen und liegen, wenn jemand, der mir nahesteht, meine Hilfe braucht. Wenn ich mich mit D. unterhalte, habe ich immer das Gefühl, dass solche Dinge in seiner Welt anders laufen.

 

Zum einen scheint mir die Familie viel enger als bei uns zusammenzuleben und das Wort Privatsphäre eine deutlich unwichtigere Rolle zu spielen als bei uns. Zum anderen scheint man sich aber auch im Bekanntenkreis viel häufiger um Hilfe zu bitten. Während man bei uns inzwischen für fast alles einen Fachmann ruft, so scheint mir dort eine Kultur der Nachbarschaftshilfe viel weiter verbreitet. Zumindest höre ich das aus dem heraus, was D. mir von früher erzählt und ich sehe es ja auch ganz direkt, wenn er hier inzwischen aus dem Deutschkurs viele Leute kennt, die er im Fall der Fälle um Hilfe bittet oder ihnen wiederum Unterstützung anbietet.

 

Neulich erst kamen wir mal wieder auf die Betten der Kinder zu sprechen, deren Lattenroste bei jeder Gelegenheit aus dem Gestell rutschen und auf dem Boden landen. Ich schlug D. vor, mal neue zu kaufen, doch er winkte ab und meinte, er habe gerade welche von einem Freund bekommen. Dafür habe er diesem Freund beim Umzug geholfen und alles sei gut. Klar, sowas gibt es bei uns auch, und doch, so scheint es mir, nicht in dieser Regelmäßigkeit und nicht mit dieser Selbstverständlichkeit.

 

 

Doch auch, wenn gegenseitige Hilfe in D.s früherer Heimat selbstverständlich war, bedankt er sich bei uns immer noch jedes Mal sehr überschwänglich für alles, wobei wir ihm unter die Arme greifen. Liegt es vielleicht daran, dass wir Deutschen in der Welt den Ruf haben, eben nicht immer uneigennützig zu helfen? Oder hat es damit zu tun, dass er uns nur selten etwas zurückgeben kann? Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr nehme ich mir vor, mich wenigstens zum Essen einladen zu lassen, wenn F. gekocht hat und solche Dinge. Mir wäre es schließlich auch äußerst unangenehm, wenn ich Freundschaftsdienste nicht erwidern könnte.

 

Wir sitzen übrigens gerade beim Essen als das Telefon klingelt und ich an D.s Stimme höre, es muss etwas sehr Ernstes sein. Zwar verstehe ich kein Wort dessen, was er auf Arabisch sagt, doch seine Stimmlage und F.s Gesichtsausdruck verraten Rainer und mir ganz deutlich, um was es geht.

 

Zum Glück sind die Kinder an diesem Abend schon früh im Bett. Bestimmte Dinge müssen sie nicht unbedingt hautnah mitbekommen, denke ich mir. Als D. auflegt, diskutiert er erst einmal aufgebracht mit F. und sie ebenso aufgebracht mit ihm. In ihren Stimmen schwingt Sorge mit, vielleicht sogar Angst. Nein, bei ihr ist es Sorge, sage ich mir nach ein paar Minuten, bei ihm tatsächlich Angst. Dann endlich sieht er uns an und übersetzt: „Das war meine frühere Frau. Sie will die Kinder sehen...“

 

Anmerkung: Das Bild oben stammt auch wieder vom syrischen Künstler Aiman Aldarwish, der nach seiner Ankunft in Deutschland mit seiner Familie in einer Erstaufnahmestelle im Harz untergebracht war. Dort knüpfte er erste Kontakte, die schließlich dazu führten, dass er seine Bilder hier ausstellen konnte und somit auch weiterhin seiner Passion nachgehen konnte. Ihn und seine Werke lernte ich in St. Andreasberg kennen und muss zugeben, dass ich seitdem ein bisschen Fan von seiner Kunst bin.