Jeder, der ein Mikro hat, sollte seine Stimme erheben
Im Fernsehen sehe ich Bilder aus Chemnitz, Bilder, auf denen Menschen auf offener Straße den Hitlergruß zeigen, rechte Parolen grölen und jene, die ausländisch aussehen jagen. Es gab keine Hetzjagden, heißt es hinterher von offizieller Stelle, es gibt kein Problem mit Nazis und die Videos seien nicht echt.
Echt ist aber die Angst, die „unsere“ Syrer und viele andere Migranten haben, wenn sie solche Bilder sehen. Doch selbst von Politikern und anderen hochrangigen Mitgliedern unserer Gesellschaft ist immer nur zu hören, dass wir die Ängste der sogenannten „besorgten Bürger“ ernst nehmen müssen, mit ihnen in den Dialog kommen müssen und sie nicht als Rechte abstempeln dürfen. Über diejenigen, denen genau diese durch die Straßen ziehenden „besorgten Bürger“ Angst einjagen, redet keiner.
In den sozialen Netzwerken ist alles sogar noch schlimmer, dort wird gerade mal wieder vermehrt auf die „Lügenpresse“ eingeschlagen und dubiose Quellen verbreitet, die uns einreden wollen, es seien am Ende sogar Linke, die die Jagdszenen stellen, um Rechte in Verruf zu bringen. Mir macht all das inzwischen auch große Sorge, nicht nur, weil ich dann ja wohl auch Teil der „Lügenpresse“ bin, sondern auch, weil ich feststelle, dass die permanente Berieselung mit diesen Parolen mich inzwischen nicht mehr kalt lässt, obwohl ich mir genau das eigentlich vorgenommen habe.
Am Abend erlebe ich dann etwas völlig anderes. Eine große Gala, mit der eine Freundschaft zwischen zwei Schulen gefeiert wird, eine hier bei uns, die andere in Afrika, im Senegal. Anfangs war es nur ein kleines Schulprojekt, inzwischen ist weit mehr daraus geworden, eine Städtepartnerschaft wird angebahnt und es geht sogar über die Stadtgrenzen hinaus. Das Projekt soll einerseits neue Bande zwischen Deutschland und Afrika knüpfen und Möglichkeiten entwickeln, wie Entwicklungshilfe zeitgemäß und effektiv bleiben kann, andererseits dient es dem persönlichen Kennenlernen und Verständnis.
Bei der Gala wird deutlich, dass hier tatsächlich Freundschaften entstanden sind und auch, dass die Schüler aus beiden Ländern eigentlich dort wie hier von einer friedlichen, an einem Strang ziehenden Welt träumen. Stargast des Abends ist Adel Tawil, der diesen Gedanken mit seinem Song „Vom selben Stern“ unterstreicht und dabei auch zeigt, wie wichtig er solche Projekte findet, bei denen Menschen feststellen, dass wir unseren Planeten nur erhalten können, wenn wir uns nicht auf unsere engen Grenzen fokussieren.
Später, zuhause, nachdem ich meinen Artikel geschrieben habe und jetzt noch die Fotos von Adel Tawil bearbeite, gucke ich noch einmal die Nachrichten. Wieder sehe ich Bilder angeblich nicht rechter Parteien, die keine Scheu haben, neben Nazis zu marschieren und Journalisten, die angesichts einer bürgerlichen Gegenbewegung von rechten wie linken Extremisten sprechen, immer nur vereinzelte natürlich.
Ist es tatsächlich der selbe Stern, auf dem die Initiatoren der Städtefreundschaft und jene „besorgten Bürger“ leben? Immer häufiger frage ich mich das.
Wenn hier Bundesminister davon sprechen dürfen, dass Migranten die Quelle allen Übels sind, ich dann aber von einem Kontinent höre, den globale Konzerne immer noch zu unseren Gunsten ausbeuten, wenn in Sachsen, wo kaum Migranten leben, eine breite Masse Menschen Angst vor der Islamisierung des Abendlandes hat, während ich von F., D. und den Kindern zum syrischen Abendessen eingeladen werde, dann frage ich mich, ob es mich vielleicht doch in ein paralleles Universum verschlagen hat.
Wenig später startet dann unser Krimifestival. Wie immer darf ich die Interviews mit den Autoren führen, unter anderem mit der Hamburgerin Simone Buchholz. In ihrem Buch geht es um brennende Autos während des G20-Gipfels und sie sagt den schönen Satz: „Es wunderte mich, dass die Leute sich über brennende Autos aufregten, aber nie über das, was Leute dazu bringt, sie anzuzünden.“
Darauf muss ich natürlich noch ein wenig näher eingehen. Und tatsächlich teilt sie meine Einschätzung, dass es eigentlich zu spät ist, um mit den „besorgten Bürgern“ zu reden, denn die hätten wir längst verloren. Vielmehr sollten wir über diejenigen reden, die sich für eine offene Gesellschaft stark machen und ganz besonders über die, die jetzt Angst vor denen haben, die in einigen Städten pöbelnd durch die Straßen ziehen. „Jeder, der ein Mikro hat“, sagt sie, „sollte es nutzen, um denen eine Stimme zu geben, die in unserem Land dank viel lauter schreienden Menschen nicht mehr gehört werden.“ Danke.