Mama war da - Teil 2
Einige Tage später, ich bin mit D. gerade wegen irgendetwas anderem unterwegs, klingelt sein Handy. Statt ranzugehen, reicht er es mir herüber. „Was...? Wer ist das?“, frage ich, doch er sagt nur, ich solle das Gespräch führen, er traue sich nicht. Na toll.
Am anderen Ende meldet sich eine weibliche Stimme und es dauert einen Moment bis ich kapiere, worum es eigentlich geht. Die Anruferin ist Mitarbeiterin in einer Erstaufnahmestelle in Nordrhein-Westfalen, jene Einrichtung, in der die Mutter von D.s Kindern im Moment lebt. Sie ist jene Ansprechpartnerin, der die Frau die Geschichte ihrer Kinder, die an einem anderen Ort in Deutschland leben, erzählt hat und die sie um Hilfe gebeten hat.
Inwiefern Hilfe, hake ich nach und erahne so langsam, warum D. dieses Gespräch nicht selbst führen wollte. Offenbar wusste er, dass dort in NRW etwas geplant wird, allerdings hätte ich auch nichts dagegen gehabt, von ihm ein wenig vorgewarnt zu werden. Immerhin muss ich jetzt spontan aus dem Bauch heraus reagieren und vielleicht Entscheidungen fällen, die ziemlich viel nach sich ziehen können. Doch erst einmal höre ich mir an, was die Anruferin zu sagen hat.
Die Mutter der Kinder lebe seit einigen Wochen gemeinsam mit ihrem neuen Partner in der Einrichtung und ist gerade in der Phase, in der sie ihre Anträge stellt, um dauerhaft oder vorerst in Deutschland bleiben zu dürfen. Alles nicht so einfach, erklärt mir die Anruferin, womit sie mir allerdings nichts Neues sagt. Außerdem hätte die Mutter ihr von ihren Kindern erzählt und dass sie seit ihrer Ankunft hier immer wieder versucht hätte, diese zu finden. Eigentlich habe sie sie im Irak vermutet, wo sie ja D., S., A. und M. verlassen hatte, seit sie allerdings weiß, dass ihre frühere Familie auch in Deutschland ist, wuchs in ihr der Wunsch, die Kinder wiederzusehen.
Soweit kann ich folgen. „Inzwischen hat sie ihre Kinder ja gefunden und auch schon besucht“, werfe ich ein, obwohl mir gar nicht klar ist, ob sie ihrer Helferin davon überhaupt erzählt hat. Doch, das wisse sie, sagt sie mir, doch genau das sei eben auch das Problem. Zum einen hätte dieser Besuch gar nicht stattfinden dürfen, denn als Bewohnerin einer Erstaufnahmeeinrichtung dürfe sie das Bundesland nicht einfach verlassen. Genau diese Landesregelungen seien übrigens auch der Grund, warum es so lange gedauert habe, ihre Kinder überhaupt zu finden.
Wenn ein Flüchtling sich nämlich in Deutschland an die Behörden wendet, dann sind das ausschließlich die Landesbehörden und die würde eben auch nur in ihren eigenen Systemen nach den Familienangehörigen suchen, also innerhalb der Landesgrenzen. Wenn die Suche von NRW nach Niedersachsen ausgedehnt wird, dann sei das mit erheblichem behördlichen Aufwand verbunden und nehme daher sehr viel Zeit in Anspruch. Während ich mir das anhöre, klappt mir zwar die Kinnlade herunter, weil ich mich wieder einmal frage, wem die deutsche Bürokratie am Ende des Tages eigentlich nutzen soll, doch ich lasse es unkommentiert und höre weiter zu.
eit ihrem Besuch jedenfalls hat die Mutter nun den Wunsch, ihre Kinder regelmäßig zu sehen. Wie das gehen soll, ist allerdings noch unklar. Zum einen haben D. und seine Familie eine sogenannte Residenzpflicht in Niedersachsen, während die Mutter der Kinder NRW nicht verlassen darf. „Aber eine Mutter muss ja schließlich ihre Kinder sehen dürfen!“, stellt die Anruferin kategorisch fest, so als ob sie von mir jetzt eine Lösung erwarten würde.
„Dann müssen wir also herausfinden, ob es irgendeine Möglichkeit gibt, ein Besuchsrecht einzufordern?“, frage ich und setze dann vorsichtig hinzu: „Oder hat sie den Wunsch, die Kinder dauerhaft zu sich zu holen?“ Die Antwort kommt prompt. „Nein, das auf keinen Fall. Sie hat ja einen neuen Partner und der will die Kinder nicht. Nur sehen möchte sie sie eben regelmäßig.“
Ihre Forderung bleibt unausgesprochen im Raum stehen. Sozusagen als Aufforderung an mich. Allerdings ist das nun wirklich eine Aufgabe, die mich überfordert. Zum einen ist all das juristisch nicht ganz einfach, vermute ich mal, zum anderen ist es auch rein menschlich längst noch nicht eindeutig. Natürlich soll jede Mutter ihre Kinder sehen dürfen. Andererseits bin ich aber auch überzeugt, dass ein Vater und dessen neue Frau, die diese Kinder übers Mittelmeer vor einem Krieg in Sicherheit gebracht haben, da durchaus ein Wörtchen mitzureden haben.
Als ich auflege, ist mir ein wenig schwindelig. Mir graut vor dem, was da jetzt auf uns zukommt.