Land der Dichter und Denker - Teil 1
Wenn Deutschland auf viele, die zu uns kommen, auf den ersten Blick wie ein Paradies wirken mag, dann sehe ich im Moment leider viele Schlangen, die die paradiesischen Zustände stören. Tatsächlich glaube ich auch, dass ich sehr viel Glück hatte mit dem Land, in dem ich geboren wurde. Es gehört zu den reichsten dieser Erde, es ist in vielerlei Hinsicht sehr fortschrittlich und vor allem wurden hier für die Menschen sehr viele Werte fest verankert, die auch mir sehr viel bedeuten.
Humanistische und christliche Werte sorgen für eine relative Gleichstellung aller, die Meinungsfreiheit ist eines unserer höchsten Güter und unser Staat greift vergleichsweise wenig in die persönliche Freiheit des Einzelnen ein. Das sind Werte, um die uns viele Menschen auf diesem Planeten beneiden. Ist es nicht also ein Hohn, dass sich hier immer mehr Kräfte breit machen, die genau diese Werte infrage stellen?
Da tauchen seit einigen Jahren Leute auf, die laut grölend auf die Straßen gehen und sich als Retter dieses freiheitlich christlichen Abendlandes aufspielen. Diese Leute beleidigen und bedrohen Flüchtlinge, die Regierung und unsere freie Presse und beklagen, dass sie dieses oder jenes angeblich nicht mehr sagen dürfen. Im Grunde ist das so absurd, dass es schon komisch wäre, wenn es mir denn nicht so viel Angst machen würde.
Diese Menschen sehen sich als Verteidiger unserer Kultur und meinen damit aber nicht die Nächstenliebe, Toleranz und persönliche Freiheit, die wir uns seit Jahrhunderten aufgebaut haben, sondern bloß eine Abgrenzung gegen alles, was ihnen fremd ist. Sie haben Angst, dass ihnen jemand ihr Stückchen vom Paradies streitig machen könnte, weil sie nicht begreifen können, dass genug für alle da ist.
Ist vielleicht das sogar ein Grund, warum wir heute nicht mehr im Paradies leben? Weil wir damit angefangen haben, im Gartenzäune im Garten Eden zu ziehen und einen Teil der saftigen, süßen Früchte für uns beanspruchen wollten. Weil wir nicht kapiert haben, dass genug für alle da ist und nicht damit leben können, dass der andere vielleicht eine Frucht futtert, bei der auch uns gerade das Wasser im Munde zusammengelaufen ist. Weil es nun einmal allzu menschlich ist, dass es in einem Garten eine Gartennutzungsordnung geben muss, an die sich gefälligst jeder zu halten hat. Oder ist das einfach nur typisch deutsch?
Tatsächlich glaube ich manchmal, dass dieses Kleingärtnerdenken, dieses Hausmeister-Gen bei uns Deutschen besonders ausgeprägt ist. Zwar haben wir uns über Generationen und dank vieler Dichter und Denker eine freiheitliche und offene Gesellschaft erkämpft, doch eigentlich sind wir noch gar nicht reif dafür. Wir sehnen uns nach einer Haus- und Gartenordnung, weil wir den Gedanken nicht ertragen können, dass wir den Müll einmal häufiger an die Straße schleppen als unser Nachbar. Und wenn dann auch noch Menschen hierher kommen, die ihren Müll vielleicht nicht einmal trennen, dann ist der Ärger natürlich vorprogrammiert.
Ein wenig erinnert mich all das immer an meinen Bruder und mich. Früher als wir noch Kinder waren. Als wir am Samstagabend länger aufbleiben und „Wetten Dass...“ im Fernsehen gucken durften. Dann fläzten wir uns nämlich nach dem Baden immer auf das große Sofa und kaum fing die Sendung an, begann der Kampf. „Das ist meine Seite. Da darfst du nicht drauf!“ Wenig später wurde dann aus den Sofakissen eine Grenzmauer errichtet, die natürlich von der anderen Seite immer wieder ein Stück versetzt wurde. Irgendwann kam es dann zum Kampf und zum Bombardement mit den übrigen Sofakissen und irgendwann wurde es unseren Eltern zu bunt und sie schickten uns beide ins Bett. So hatte am Ende dann keiner von uns etwas davon.
Neulich habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, wenn man all diesen besorgten Bürgern eine Parzelle in einer Kleingartenkolonie besorgen würde. Natürlich ein einer Kolonie, in der es nur Gleichgesinnte gibt, die jeden Samstag akkurat ihren Rasen mähen, ihre Gartenzwerge in Reih und Glied aufstellen und wo kein Apfelbaum seine Zweige über die Grenze zur Nachbarparzelle streckt. Dort dürften sie dann alles sagen, was sie ja laut grölend auf unseren öffentlichen Straßen und in den sozialen Netzwerken angeblich nicht sagen dürfen und niemand würde sie mit einer Kultur belästigen, die nicht ihre ist. Würden sie sich dann weniger absurde Sorgen machen?
Leider gibt es diese Kleingartenkolonien nicht und daher organisieren sich diese Leute nach wie vor anders und ziehen dabei immer wieder auch uns mit hinein. Durch meinen Job bekomme ich hin und wieder davon mit und bin manchmal sogar näher dran als mir lieb ist. Immer mal wieder gibt es Kundgebungen oder sogenannte Mahnwachen, über die ich berichten muss und während derer ich mir auch die Parolen anhören muss, die leider so gar nicht nach der Kultur des Vaterlandes der großen Dichter und Denker klingen.
Fortsetzung folgt...