Abstand halten

Keine Panik in der Pandemie

 

Alles fühlt sich so surreal an. Die Stadt ist nahezu menschenleer, nur vor der Apotheke stehen drei Menschen vor der Tür Schlange. Nun ja, eine Schlange mit ziemlich großem Abstand. Weil das nun mal das Gebot der Stunde ist. Darum dürfen ja auch nur zwei Kunden gleichzeitig hinein. Nur durch diesen Abstand zu anderen Menschen lässt sich die Pandemie einigermaßen in den Griff bekommen, heißt es. Ich hoffe, die Virologen liegen damit richtig.

 

Als Dauerzustand ist dieses an die Zombieapokalypse erinnernde Szenario nämlich nicht empfehlenswert, finde ich. Obwohl ich ja auch sagen muss, dass wir es relativ gut getroffen haben, wenn die Zombies nur Klopapier hinterherjagen und von allen Menschen mindestens einen Meter Abstand halten. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass weitestgehend Solidarität vorherrscht, von den üblichen Panikmachern oder Verschwörungstheoretikern einmal abgesehen.

 

Auch vor der Apotheke standen wir Kunden geduldig an bis jemand heraus kam und der nächste eintreten konnte. Als ich an der Reihe war, stellte ich mich vor die Plexiglasscheibe, die als Spuckschutz diente und orderte in aller Ruhe eine Flasche Hustensaft. D. hatte mich nämlich angerufen und darum gebeten, ihm und den Kindern den Hustensaft vorbeizubringen.

 

Die Mädchen waren letzte Woche schon krank gewesen, jetzt ging es ihnen wieder besser, doch sie hatten M. angesteckt, der nun hustete und Fieber hatte. Auch D. selbst war nicht ganz auf dem Posten und war schon beim Arzt gewesen, der ihn umgehen krank geschrieben hatte. Von Corona keine Rede. Auch nicht als ich wegen der Kinder beim Kinderarzt angerufen hatte.

 

 

Die Sprechstundenhilfe ließ sich die Symptome schildern, die mich ehrlich gesagt schon ein wenig beunruhigten, sie jedoch nicht aus der Fassung brachten. Wir sollten Fiebersaft geben, riet sie, und erst einmal beobachten. „Und wenn es bis Montag nicht besser ist, melde ich mich noch einmal bei ihnen“, schlug ich vor. Sie jedoch wehrte ab. „Nein, melden sie sich nur, falls es noch schlimmer wird.“ Na super. Wie sollte ich denn übers Telefon entscheiden, ob es schlimmer wurde?

 

F. und D. behielten zum Glück auch die Ruhe, kauften Fiebersaft und bekamen das Fieber so auch tatsächlich herunter. Das beruhigte uns alle erst einmal. Heute Morgen aber rief D. bei mir an und meldete, das Fieber sei nun zwar weg, doch er bekomme M.s Husten nicht in den Griff. „Warst du denn in der Apotheke und hast Hustensaft gekauft?“, fragte ich. Nun ja, er habe es versucht, erklärte er mir, dreimal sei er in einer Apotheke gewesen und habe versucht zu erklären, was sein Kind plagte. Da ihm aber das Wort Hustensaft nicht eingefallen sei, habe er dreimal Fiebersaft bekommen und wisse jetzt nicht mehr weiter.

 

Tatsächlich musste ich darüber erst einmal lachen, sagte dann aber schnell zu, den Einkauf für ihn zu erledigen. „Aber ich werde nicht lange bei euch bleiben, sondern dir nur an der Tür das Medikament überreichen“, warnte ich ihn vor. Er verstand, bedankte sich und war erst einmal beruhigt. Ich weniger, denn ich ahnte schon, dass es nicht so leicht werden würde.

 

In der Apotheke allerdings ist es sehr leicht, ich lege das Geld auf den Tresen, eine Tüte wird mir rübergeschoben, alles ohne Körperkontakt, aber auch ohne überzogene Angst, sondern einfach ruhig und vorsichtig. Ja sicher, ich hätte die Tüte nun auch bei D. vor die Tür stellen und mich vom Acker machen können, bevor er öffnete. Da ich mich aber wenigstens kurz erkundigen will, ob er alles richtig verstanden hat, was gerade an Maßnahmen angesagt ist, möchte ich doch mit ihm sprechen und das eben auch mit Augenkontakt, damit ich sicher sein kann, dass er am Ende nicht ebenso ratlos dasteht wie in der Apotheke.

 

 

Als er die Tür öffnet, sind die Kinder natürlich sofort da, springen an mir hoch und umarmen mich. Sicher nicht im Sinne eines Kontaktverbotes und ganz sicher eine wahre Einladung vor Viren, doch wie sollte ich erklären, dass sie mich nicht berühren dürfen? Ich hoffe einfach drauf, dass ich es bis nach Hause schaffe, mir nicht unbewusst im Gesicht herumzufuchteln und dass gründliches Händewaschen dann ausreicht.

 

M. freut sich über den Hustensaft, von dem F. ihm auch sofort einen Löffel verabreicht. Dann wendet er sich schnell wieder D.s Smartphone zu, auf dem er offenbar als Entschädigung spielen darf. Im ersten Moment denke ich, ich sehe nicht richtig. Der kleine M. zockt routiniert eine Runde PUBG, ballert Gegner weg und hält mir das Ergebnis dann stolz unter die Nase.

 

„Meinst du, dass das das richtige Spiel für ihn ist?“, frage ich D. Der lächelt verlegen, schüttelt den Kopf und erklärt dann aber: „Die Kinder dürfen nicht in die Schule, dürfen nicht raus und sich mit Freunden treffen, was soll ich machen?“ Ja, ich verstehe ihn. „Außerdem – das“, fügt er bedeutungsschwanger hinzu, „das ist nur ein Spiel.“ Auch hier verstehe ich, was er meint und beschließe, das Thema damit gut sein zu lassen.

 

Für D. und F. ist es aber noch nicht so ganz abgehakt. Wir reden erst eine Weile über die Pandemie, über die Maßnahmen, die in Deutschland ergriffen werden, dann aber kommen wir auf die Flüchtlingslager zu sprechen. Hier sitzen wir in unseren Häusern fest und müssen uns vielleicht wirtschaftliche sorgen machen. Das alles ist schlimm genug. Viele Lager aber sind hoffnungslos überfüllt, es gibt mancherorts nicht mehr ausreichend sauberes Trinkwasser, von Hygienevorschriften und medizinischer Versorgung einmal ganz abgesehen.

 

Auf dem Weg nach Hause lasse ich mir all das noch einmal durch den Kopf gehen. Sicher, für uns ist es eine unbekannte Situation voller Angst. Dort aber muss es sich wirklich wie die Zombieapokalypse anfühlen, wenn jemand das Virus einschleppt und weder etwas gegen die Ausbreitung, noch gegen die Symptome getan werden kann. Ehrlich gesagt will ich es mir gar nicht genauer vorstellen. Ich hoffe nur, dass wir bei all unseren eigenen Sorgen all diejenigen nicht vergessen, für die die Pandemie noch viel bedrohlicher ist.