Dankbar oder desillusioniert? - Teil 1
In letzter Zeit hadere ich oft mit unserem Staat, mit den Medien oder zumindest Teilen davon und letztlich auch mit der Gesellschaft. Während ich früher immer deutlicher Optimist war, davon überzeugt, dass wir Menschen alle tief in uns immer das Gute wollen, zweifle ich daran inzwischen manchmal. Während ich vor einigen Jahren noch fest davon überzeugt war, dass wir unsere Welt in großen Teilen doch immer besser machen, sehe ich inzwischen vor allem das Gegenteil und bekomme zunehmend Angst vor der Zukunft.
Das gilt für unser Land, für Europa und letztlich auch für die ganze Welt, von der ich einmal dachte, sie könnte die Zeit der Kriege irgendwann überwinden, daran jetzt jedoch stark zweifle. Andererseits habe ich mir auch immer gesagt, dass wir selbst für unser Denken verantwortlich sind und somit auch für unser Gefühl, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist. Bei mir war es immer der Glaube, der mir Zuversicht gab, und so war es auch neulich wieder. Doch erst einmal muss ich ein bisschen weiter ausholen.
Seit D. und seine Familie nach Deutschland gekommen sind, haben sie sich hier eingelebt, unsere Sprache gelernt und stehen inzwischen finanziell auf eigenen Füßen. Dazu haben Rainer und ich einen nicht eben geringen Teil beigetragen, können wir uns ohne Übertreibung zugestehen. Ganz anders aber sieht es meiner Meinung nach mit unseren Behörden aus.
Sicher, durch diese ehrenamtliche Arbeit habe ich wirklich viele hilfsbereite Menschen kennengelernt. Aber leider auch ebenso viele Mitarbeiter in Behörden oder auf Ämtern, die ziemlich stur waren, keinen Millimeter von ihren Vorschriften abrückten und es uns und vor allem den Geflüchteten, die sich hier etwas Neues aufbauen wollen, nicht eben leichter gemacht. Außerdem habe ich immer mehr den Eindruck gewonnen, dass es sich unsere Regierung mit einem einfachen „Wir schaffen das“ doch allzu einfach gemacht hat und sich anschließend immer wieder geschickt aus der Affäre zog.
Im Mittelmeer ertrinken nach wie vor Menschen, eine klare europäische Flüchtlingspolitik gibt es bis heute nicht, stattdessen wird hilflos zugesehen wie jene, die gegen die Neubürger wettern, immer mehr Zustimmung und Anhänger bekommen. Viele Medien verhalten sich keinen Deut besser, vor allem, weil dort immer nur von „den Flüchtlingen“ als eine anonyme Masse und äußerst selten über einzelne Individuen gesprochen wird. Dabei habe ich in dieser Zeit so viele bemerkenswerte Menschen kennengelernt, die ich für mein eigenes Leben, aber auch für uns alle als Bereicherung empfinde.
Auf diese Menschen bin ich zugegangen, habe mir etliche ihrer Geschichten angehört und dabei vor allem festgestellt, wie unterschiedlich die einzelnen Schicksale doch sind. Auch einige Berichte und Reportagen konnte ich schreiben, doch eben immer nur für eine relativ überschaubare Leserschaft und offenbar auch immer nur für jene, die ohnehin ein eher positives Bild von jenen haben, die da zu uns kommen.
Viele andere erreiche ich mit solchen Geschichten nicht und erreicht offenbar auch sonst niemand mehr. Weder mit persönlichen Erzählungen dieser Menschen, noch mit nüchternen Fakten. Das ist meiner Meinung nach zum einen ein großes Versagen derer, die berichten sollten, zum anderen macht es mich entsetzlich wütend, wie viele Leute auch in meinem persönlichen Umfeld dem populistischen Narrativ vom Fremden als Sündenbock auf den Leim gehen.
Im Grunde kann ich es immer noch nicht fassen, dass in unserer angeblich so aufgeklärten Gesellschaft vieles wieder normal zu werden scheint, was ich auf der Müllkippe der Geisteshaltungen wähnte. Und die Ohnmacht, einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken, lähmt mich manchmal regelrecht und macht mir Angst vor dem, was in den kommenden Jahren denn daraus werden soll.
Kurz gesagt, ich habe noch nie so stark wie jetzt an unserer Gesellschaft, also an ihren Strukturen und auch an den Menschen, gezweifelt. Nun ist es aber ausgerechnet D., mit dem ich häufig über Deutschland oder über die Unterschiede zwischen der arabischen Welt und Europa spreche und der mir immer wieder sehr deutlich sagt, wie sehr er die Freiheit hier schätzt, die Chancengleichheit und die Fürsorge für Schwächere.
Klar, er ist dankbar, dass er als Kurde nicht mehr offen diskriminiert wird und vor allem, dass er für S., A. und M. hier eine Perspektive in Sicherheit und langfristig sogar in Wohlstand sieht. Seiner Meinung nach, so kommt es in Gesprächen jedenfalls oft rüber, macht Deutschland alles richtig, sind alle Menschen hier erstaunlich hilfsbereit und nett und sind meine Kritikpunkte nichts im Vergleich zu den Sorgen, die er sich um seine alte Heimat und seine dort noch lebenden Verwandten und Freunde macht.
Fortsetzung folgt...