In der Pandemie sind reißerische Headlines fehl am Platz
Wenn es regnet, dann droht garantiert eine „Jahrhundertflut“. Scheint die Sonne, gibt es ganz sicher irgendwo „Rekordtemperaturen“. Übertreibungen und Superlative gehören für die Medien zum Alltagsgeschäft, ohne sie geht es gar nicht mehr. Das gilt leider auch und insbesondere während einer globalen Pandemie, in der die Menschen eh schon verunsichert sind. Sollte also nicht wenigstens in solchen Zeiten Sachlichkeit herrschen, um keine Panik zu schüren und seltsame verschwörerische Auswüchse zu vermeiden?
Nun ja, dazu müssen wir erst einmal festhalten, dass es „die Medien“ ja gar nicht gibt. Es gibt einzelne Unternehmen, und egal, ob das der Eseltreiber, der Spiegel oder Fox News ist, sie alle sind darauf angewiesen, mit ihren Schlagzeilen Leser bzw. Zuschauer zu erreichen, ihre Nachrichten also zu verkaufen. Dass das schnell mit journalistischen und auch ethischen Grundsätzen kollidiert, zeigt uns ein großes Boulevardblatt seit Jahrzehnten geradezu BILDerbuchmäßig.
Die „Brandkatastrophe“ bringt nun einmal mehr ein als der kleine Zimmerbrand, den die Osteroder Feuerwehr zum Glück schnell unter Kontrolle bekam. Dementsprechend ist nun mal ein Killervirus spannender als die korrekte, aber eben auch komplexe Erläuterung eines Christian Drosten. Und natürlich macht es viel mehr Spaß, sich über „Covidioten lustig zu machen als sich mit wissenschaftlichen Papieren anerkannter Virologen auseinanderzusetzen.
Nun ja, das scheint sich auch unsere Politik zu denken und agiert bzw. kommuniziert in den vergangenen Monaten recht häufig auf dem Niveau eines RTL2-Nachmittagsformates. Doch um die Fehler der Politik soll es hier ja nicht gehen, sondern um die Berichterstattung darüber.
Es ist völlig klar, dass die nicht immer akademisch sein kann und bei einem solch komplexen Thema wie einem noch weitgehend unerforschten Virus und Folgen, die selbst Experten nur unzureichend abschätzen können, nicht immer richtig liegt oder wirklich alle Aspekte berücksichtigen kann. Ein Mindestmaß an Genauigkeit, an Wissenschaftskommunikation, an Unaufgeregtheit, erwarte ich allerdings ehrlich gesagt schon.
Immerhin haben wir es bei Corona und allem, was daraus folgt, mit einer Situation zu tun, die es so zuvor während unserer Lebensspanne noch nie gab. Das entschuldigt manchen Fehler, sollte aber auch der Grund für umso mehr Vorsicht und Fingerspitzengefühl sein. Ist es aber leider nicht. Weder in der Berichterstattung über das Virus an sich, noch wenn es um den Umgang und die Maßnahmen geht. Der CDU-Politiker und ehemalige Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz schrieb kürzlich auf Twitter: „Vor zehn Monaten 'Pandemieweltmeister', jetzt 'Staatsversagen'. Muss es in Deutschland immer gleich der Superlativ sein – im Guten wie im Schlechten? Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt. Gibt es auch was dazwischen?“
Ja, Herr Polenz, gibt es. Bloß verkauft sich das medial eben nicht so gut. Unter Journalisten hat sich leider herumgesprochen, dass reißerische Texte und insbesondere Headlines nun einmal die größte Aufmerksamkeit erzeugen, was ja leider auch den Tatsachen entspricht. Und Aufmerksamkeit ist nun einmal die Währung dieser Branche.
Eine Lösung wäre es sicher, unser gesamtes System so zu verändern, dass es für (Medien-)Unternehmen nicht mehr nur um Gewinn geht, doch diese Option gehört vermutlich spätestens seit dem Zusammenbruch des Kommunismus ins Reich der Märchen. Hier geht es ja aber um Nachrichten und Fakten. Ach nein, auch nicht. Hier geht es um Auflagen, Einschaltquoten und Klickzahlen.
Also müsste es vielleicht um Fakten gehen. Um Glaubwürdigkeit. Es müsste darum gehen, dass Journalisten sich ihrer Berufsehre entsinnen, Verantwortung übernehmen für das, was sie schreiben, ihren Lesern gut recherchierte Geschichten liefern und damit langjähriges Vertrauen aufbauen. Dazu wiederum gehört in einer gewinnorientierten Gesellschaft dann jedoch eine Menge Idealismus und den muss man sich leisten können.
Aber ist das wirklich so? Sicher, wir Journalisten wissen, dass eine reißerische Headline dafür sorgt, dass viele Menschen darauf aufmerksam werden. Was sich allerdings noch nicht so herumgesprochen hat, ist die Tatsache, dass es dennoch auch um langfristige Bindungen geht. Leser, Hörer, Zuschauer, wer auch immer weiß Informationen einzuordnen, lernt mit der Zeit, welche Quellen seriös und glaubhaft sind und welche bestenfalls der Belustigung dienen.
Zugegeben, das erfordert ein Mindestmaß an Medienkompetenz und vielleicht auch an Intellekt. Daher appelliere ich auch immer an alle da draußen, angesichts populistischer Parolen, Fake News und Verschwörungstheorien nicht alles zu vergessen, was sie in der Schule mal gelernt haben. Denken kann nützlich sein und Bildung ist es in jedem Fall.
Allerdings frage ich mich noch mehr, welche Leser wir Journalisten denn eigentlich ansprechen wollen. Diejenigen, die sich über jeden Skandal ereifern, die uns eigentlich nur brauchen, um Futter für ihre eigenen Stammtischparolen zu sammeln oder diejenigen, die wirklich informiert werden wollen? Vielleicht ist es ja zu idealistisch, zu naiv von mir, dennoch habe ich beim Eseltreiber immer den Anspruch an mich selbst, unterhaltsame Geschichten, neue Blickwinkel und zumindest einigermaßen vernünftig recherchierte Fakten zu liefern. Auf Jahrhundertfluten, Rekordtemperaturen und den Untergang des christlichen Abendlandes habe ich persönlich keinen Bock.
Dieser Text erschien Anfang Mai im Eseltreiber.