9/11 – War die Welt danach eine andere? - Teil 2
Am zweiten Tag liefen wir tatsächlich fast die gesamte Halbinsel Manhattans ab. Vom Crysler Building bis zur Upper East Side und zurück bis zum Trump Tower – über dessen Bauherrn lasse ich mich hier jetzt nicht aus, dessen schlimmste Zeiten haben wir inzwischen ja zum Glück hinter uns.
Nur wo du zu Fuß warst, bist du wirklich gewesen, soll ja Goethe gesagt haben und auch, wenn er das moderne New York nicht kannte, konnten wir ihn darin nun wirklich bestätigen. Vom Empire State Building, nun wieder das höchste Gebäude der Stadt, hatten wir einen tollen Blick, in den Straßen unten sahen wir viel Alltägliches und da wir wegen der drückenden Hitze in den Häuserschluchten viel Durst, aber wenig Geld hatten, kamen wir in den Läden in kleinen Seitenstraßen auch ab und zu mit ganz normalen New Yorkern ins Gespräch.
Die Offenheit und das Interesse an unserer Herkunft – „are you from Sweden“ machte uns besonders stolz – und unseren weiteren Urlaubsplänen festigte mehr und mehr einen positiven Eindruck der Menschen hier, der so gar nicht zu dem sich abschottenden und rachsüchtigen Bild passte, das die Vereinigten Staaten mehr und mehr charakterisierte.
An Tag drei stand dann der Besuch der Freiheitsstatue und von Ground Zero an. Erstere enttäuschte mich, vor allem, weil schon die Überfahrt mit dem Boot eine rein touristische und damit überteuerte Angelegenheit war, für die nur der Blick auf die Skyline entschädigte. Nie vergessen werde ich allerdings das Gefühl, das ich am Rande dieser mehrere Stockwerke bis zu den U-Bahn-Strecken hinabgehenden Baustelle unvorstellbaren Ausmaßes hatte, wo vor wenigen Monaten ein bis heute nicht fassbarer Terroranschlag eines der Wahrzeichen der Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte.
„Einige Straßenecken weiter entdeckten wir das Schaufenster eines Klamottenladens, in dem noch alle Kleidungsstücke so dalagen wie unmittelbar nach dem Anschlag, voller Dreck und Schutt hinter einer zerbrochenen Scheibe, vor die einfach eine zweite gesetzt worden war, um diesen Schockmoment zu konservieren“, beschrieb ich ein weiteres Bild, das mir bis heute lebhaft vor Augen ist. Den Rückweg traten wir per Subway an, verzogen uns am Nachmittag in den Central Park und waren noch über Stunden auffallend schweigsam.
Auf unserer weiteren Reise nach Los Angeles und San Francisco lernten wir immer wieder ausgesprochen freundliche und weltoffene Amerikaner kennen, während uns übertriebene Vorsicht und Misstrauen nur an den Flughäfen auffiel. Gerade rückblickend bleibt der Eindruck, dass die vielzitierte Spaltung der Gesellschaft in den USA damals ihren Anfang nahm. Allerdings ging das beängstigend konservative Denken, das heute bei vielen in den USA herrscht, nicht von der breiten Masse der Bevölkerung aus, sondern ist meiner Meinung nach zu einem großen Teil politisch genährter Hass.
Den New Yorkern schien nach dem 11. September vor allem ein „Wir lassen uns nicht unterkriegen“ und die sprichwörtliche Freiheit im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wichtig. Alles, was sich an Kriegen und Sehnsucht nach alter Stärke in den vergangenen zwanzig Jahren daraus entwickelt hat, könnte somit in erster Linie das Werk einiger weniger sein, die in einer Zeit der Unsicherheit Angst schürten, um ihren Einfluss und ihre Macht zu stärken.
An dieser Stelle möchte ich den Text eigentlich beenden, denn sonst kann ich es mir nicht verkneifen, mich über die Parallelen hierzulande auszulassen. Hier glaube ich ja auch, dass der Schock von 9/11 sowie etliche andere Ereignisse genutzt wurden, um Angst und Hass zu säen, um Rassismus wieder salonfähig zu machen und neue Feindbilder zu kreieren.
Nach wie vor halte ich die Mehrheit der Menschen, egal wo auf der Welt, für vernünftig, friedlich und eigentlich liebenswert. Doch ebenso nun mal auch manipulierbar, von Regierungen, von Medien und gerade in den letzten Jahren eben auch mehr und mehr von Einzelnen mit einem gewissen Einfluss, die eine ganz persönliche Agenda verfolgen. Die hatten es wohl noch nie so leicht wie heute und ich glaube auch, man sah noch nie so deutlich, welchen Schaden sie anrichten können.
Darum lasst uns doch Ereignisse wie den furchtbaren Terroranschlag auf das World Trade Center als das nehmen, was sie sind, nämlich eine verabscheuungswürdige Tat einer kleinen Gruppe von Menschen. Aber es muss kein Indiz für eine große Weltverschwörung sein und auch keine Rechtfertigung für unbegründetes Misstrauen jedem Andersdenkenden gegenüber, für von tiefen Gräben durchzogene Gesellschaften und letztlich für sinnlose Kriege.
Die meisten Menschen waren an diesem 11. September vor zwanzig Jahren ebenso entsetzt und sprachlos wie du und ich. Damit haben wir doch schon mal eine große Gemeinsamkeit, oder nicht?