Fachkräftemangel und Rassismus

Warum Jawed Karim Youtube nicht im Harz gründete

 

Wisst ihr, was das erste Youtubevideo war? Es hieß „Me at the zoo“ und zeigte einen jungen Mann vor dem Elefantengehege im San Diego Zoo. Cool sei, dass die Elefanten so einen langen Rüssel haben, sagte er, dann war es nach 19 Sekunden auch schon wieder vorbei. Um die Elefanten und ihre Rüssel soll es hier aber nicht gehen, sondern um den Videoersteller, der niemand anders war als Jawed Karim, Mitgründer der heute millionenfach genutzten Website.

 

Was überraschen mag: Jawed Karim ist Deutscher. Er wurde 1979 in Merseburg geboren, sein Vater Naimul stammt aus Bangladesh und arbeitete hier als Chemiker, seine Mutter Christine kommt ganz aus meiner Nähe, aus Wernigerode, ist heute Assistenz-Professorin in Minnesota. Ihren Mann lernte sie während des Studiums kennen.

 

Die Familie reiste 1982 aus der DDR aus, weil sie sich dort nicht mehr willkommen fühlte. „Wir passten nicht ins Bild“, sagte Christine Karim vor einigen Jahren der Zeit in einem Interview, „„Die Leute sagen mir jetzt immer, was für ein Glück, dass ihr raus durftet. Ich wäre aber eigentlich gern geblieben, das war ja meine Heimat.“ Doch auch Westdeutschland sollte nicht für immer ihre Heimat bleiben.

 

 

Der Grund für das Auswandern in die USA waren zum einen ein Jobangebot für Naimul Karim, zum anderen die ausländerfeindliche Stimmung in Deutschland und ganz konkret die fremdenfeindlichen Übergriffe in Hoyerswerda, Rostock und Mölln. So kam Jawed 1992 in die USA, studierte Informatik und gründete mit mit 26 Jahren gemeinsam mit Chad Hurley und Steve Chen Youtube. Ein Jahr später wurde die Videoplattform an Google verkauft, Jawed erhielt laut Wikipedia für seine Anteile 64 Millionen US-Dollar, mit denen er kurz darauf ein Unternehmen gründete, das Studenten finanziell unterstützt, ihr eigenes Start-Up aufzubauen.

 

All das hätte mit einigen veränderten Vorzeichen also auch in Deutschland stattfinden können und wer weiß, vielleicht würde Jawed Karim dann heute Frank Thelen den Rang als bekanntester Investor Deutschlands und Internet-Wirtschaftsexperte streitig machen. Wäre ja nicht das Schlechteste. Doch die Geschichte lief eben anders. „Das war 1992 eine schlimme Situation in Deutschland“, sagte Christine Karim im zitierten Interview. Ganz anders in Minnesota: „Die Leute interessierten sich für uns. Wir waren jetzt Einwanderer und wollten ein Teil dieser Gesellschaft werden.“

 

Besonders dieser letzte Satz sagt doch unglaublich viel aus. Zum einen wollte die Familie Teil der Gesellschaft werden, in die sie ausgewandert waren. Das ist genau jener Punkt, den viele Konservative und Rechte den Zuwanderern und Geflüchteten hierzulande immer wieder absprechen. Zum anderen sagt Christine Karim aber auch, dass die Leute dort sich für sie interessierten. Wohlgemerkt damals, im Amerika vor Bush Junior und Trump.

 

 

Der Journalist, Kolumnist und Diplom-Theologe Stephan Anpalagan griff die Geschichte Jawed Karims jetzt auf Twitter im Zusammenhang mit den Diskussionen um die Silvesternacht auf. „Dass Deutschland für Spitzenforscher, Fachkräfte und Experten so unattraktiv ist, hat 0,0% mit „Bürokratie“ oder mit „hohen Steuern“ zu tun, wie Friedrich Merz suggeriert. Es hat zum einen damit zu tun, dass englischsprachige Expats in Deutschland keine Perspektive haben“, schreibt er, „Zum anderen lesen Fachkräfte aus dem Ausland all diese Diskussionen um „Migrationshintergrund“, „gescheiterte Integration“, „Sozialtourismus“ und ähnlichem mit.“

 

All das schrecke viele ausländische Fachkräfte ab, jede Querdenker-Demo, jeder Neonazi-Anschlag, aber auch die politischen und medialen Diskussionen, in denen sich auf der einen Seite „fest verankerter Rassismus in der Mitte der Gesellschaft“ offenbare. Deutschland könne, so mutmaßt Anapalagan, seit Jahrzehnten die technologische Vorherrschaft in weiten Teilen der Industrie innehaben und eine Sogwirkung für Software-Entwickler haben, wenn denn der Rassismus nicht wäre. Klingt für mich plausibel.

 

Bei aller Diskussion um integrationsunwillige Jugendliche in der zweiten und dritten Generation ist dies eben die andere Seite. Es kann selbstverständlich darüber diskutiert werden, ob unsere Migrationspolitik richtig ist, ein einseitiges Migrantenproblem, wie es populistisch häufig und gerade jetzt wieder dargestellt wird, haben wir allerdings nicht, wohl aber ein Fachkräfteproblem und  - da müssen wir eben dfen sprichwörtlichen Elefanten im Raum nun doch noch ansprechen -  auch ein Rassismusproblem.