Konstruktiver Journalismus - Teil 2
Einer, der es ausprobiert hat, nur noch positive Nachrichten zu konsumieren, ist der Youtuber Joseph DeChangeman. Einen Monat lang, mit der Kamera dokumentiert. Er habe anfangs Sehnsucht nach Drama gefühlt, berichtet er, musste umlernen, um nicht gelangweilt zu sein. Doch schon nach zwei Wochen habe sich das geändert. „Ich fühle mich hoffnungsvoller mit Blick auf alles“, sagt er, „dankbarer für das, was ich habe, und insgesamt glücklicher.“
Auf dieses Video wiederum haben Oliver Dombrowski und Florian Diedrich alias Doktor Froid in ihrem Stream reagiert. Beide setzen sich auch immer wieder mit Medienthemen auseinander, Florian
insbesondere auf seinem Youtubekanal LeFloid. Sie waren zunächst begeistert vom Experiment, dann allerdings entwickelt sich zwischen beiden eine äußerst interessante Diskussion.
„Was ich zu wenig bedacht finde, ist die Aussage über die Welt. ‚Die Welt wird besser, die Welt wird friedlicher, die Welt wird demokratischer...‘“, merkt Flo an, „Aber in unserer Lebensrealität haben wir mit diesen Dingen, die sich in der Welt verbessern, wenig zu tun. Für uns als ‚absolut überprivilegierte Bewohner der ersten Welt‘ spielen andere Dinge eine Rolle.“ Was er meint, ist, dass die Lebensumstände bei uns hier gerade für viele Menschen gefühlt deutlich schlechter werden, wodurch die Sicht auf die Welt eben eine deutlich kritischere ist.
Olli hält dagegen, die weltweiten Fakten seien aber eindeutig, dass vieles sich nun einmal in den letzten Jahrzehnten deutlich zum Guten entwickelt habe. Ja, aber es seien eben vor allem jene
Punkte, die in unserer Gesellschaft schon länger keine Rolle mehr spielen, weil wir Kindersterblichkeit, Hunger, diktatorische Machtstrukturen, Ausbeutung durch Kolonialisierung und vieles andere
größtenteils überwunden haben oder es hierzulande nie ein Problem war, so Flo. Für viele Menschen hier sinkt der Lebensstandard in den letzten Jahren gefühlt oder auch tatsächlich.
Es ist also immer auch eine Frage von Blickwinkeln, so stellen beide fest. Unter anderem auch ein Grund, warum so viele Menschen für populistische Wahlversprechen empfänglich sind. Global gesehen
wird faktisch vieles besser, hier bei uns in Deutschland fühlen sich viele mit den Herausforderungen und Forderungen des Klimawandels überfordert, von der Energiekrise und steigenden Preisen
verunsichert und vom Krieg in der Ukraine verängstigt. Es liegt an uns, welche Perspektive wir einnehmen bzw. an den Medien, welche sie uns zeigen.
Großes Potenzial für konstruktiven, also positiven Journalismus gibt es nicht nur auf den speziellen Plattformen, die sich das auf die Fahnen geschrieben haben und die Joseph getestet hat, sondern auch in der lokalen Presse. Vor Ort zeigen die Krisen der Welt natürlich Auswirkungen, bestimmen aber selten den Großteil des Alltags. Vielmehr sind es kleinere Nachrichten, solche, die vielleicht über die Region hinaus kaum relevant sind, die Menschen aber dennoch bewegen.
Engagiertes Ehrenamt, das Dinge am Laufen hält, Feste und Kultur, die jetzt nach der Durststrecke der Pandemie wieder stattfinden können, einzelne Menschen, die Besonderes leisten und kleine
Neuerungen, die Kindern, Senioren, Geflüchteten oder anderen guttun. Vor Ort passieren diese Dinge und haben die Chance, zur Nachricht zu werden.
Das ist konstruktiver Journalismus, der uns hilft, auch das Positive in der Welt zu sehen. Daran arbeite ich seit Jahren, das ist mein täglicher Job. Und ja, ich schreibe viel lieber über Menschen, die mich beeindrucken, über Entwicklungen, die ich positiv finde, über die kleinen Begebenheiten des Alltags, die anderen helfen können. Das will und werde ich auch weiterhin tun, eben aus voller Überzeugung. Trotzdem werde ich euch hier die eine oder andere Meckerei über das, was mich da draußen aufregt, nicht ersparen. So ist nun mal das Leben. Es bringt täglich Positives und Negatives mit sich.