Gibt es theologische Gründe gegen Rechtsextremismus?
In Northeim wurde kürzlich Björn Höcke von der dortigen AfD-Kreistagsfraktion geehrt. Das rief Protest hervor, der Ratssaal der niedersächsischen Stadt sei nicht dafür da, um thüringische Rechtsextremisten zu ehren, so könnte man es überspitzt formulieren. Auf jeden Fall riefen die Stadt, der Rat und eben auch die Kirche zu einem Protest, einer symbolischen Menschenkette um den Ratssaal auf.
Der Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Leine-Solling, Jan von Lingen, unterstützte die Aktion von Anfang an. „Das ist nicht mein Northeim, wenn ein Mensch, der vom Verfassungsschutz
als rechtsextrem eingestuft wird, in Northeim einen Preis bekommt und seinerseits Northeim als ein ´Kraftzentrum´ der AfD bezeichnet.“
Zur Demonstration kamen laut Polizei 800 bis 1000 Menschen – ein deutliches Zeichen, wenn natürlich auch nichts gegen die Zahlen aus größeren Städten. Neben Bürgermeister Simon Hartmann sprachen
unter anderem auch die Bundestagsabgeordneten Frauke Heiligenstadt und Karoline Otte und eben Jan von Lingen. „Wir sind anders“ rief er Höcke und der AfD sozusagen entgegen, Northeim steht nicht
für rechte, faschistische und extremistische Ideologien. Warum aber beteiligt sich die Kirche überhaupt an einer solchen Demonstration, bezieht Stellung zu politischen Themen?
„In der hannoverschen Landeskirche haben wir eine Kirchenverfassung. Darin sind wir aufgerufen, als Christinnen und Christen Mitverantwortung für das demokratische Gemeinwesen zu übernehmen. In allen Auseinandersetzungen muss genau diese Demokratie die gemeinsame Basis sein“ sagt der Superintendent dazu. Weiterhin bekräftigt er: „Wir sagen sehr deutlich: Rechtsextremismus widerspricht fundamental den christlichen Grundüberzeugungen und Maßstäben. Dazu haben wir auch 10 Thesen gegen Rechtsradikalismus im Kirchenkreis verabschiedet. Wir halten uns an die Bibel, in der es heißt: ‚Suchet der Stadt Bestes.‘ (Jer. 29,7).“
Seine Haltung für den thüringischen AfD-Vorsitzenden bringt er klar zum Ausdruck: „Es kann es nicht sein, dass mit der Ehrung des thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke in Northeim
hoffähig und preiswürdig ist, was vom Verfassungsschutz in Thüringen als verfassungsfeindlich eingestuft und beobachtet wird.“
Auch im benachbarten Osterode gab es wie in so vielen Städten eine Demonstration für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Es kamen 2000 Menschen und auch hier beteiligte sich die Kirche. Und auch hier fragte ich die Superintendentin des Kirchenkreises Harzer Land, Ulrike Schimmelpfeng, nach einer Begründung. Ihre Haltung ist ebenso klar wie die von Jan von Lingen.
„Als Christinnen und Christen haben wir die Aufgabe, Jesus nachzufolgen so gut wir können“, sagt sie, „Dieses Engagement hat Konsequenzen für alle unsere Lebensbereiche. In der Familie, unter Arbeitskollegen und in unserer Stadt und unserem Land haben wir den Auftrag für Nächstenliebe einzustehen.“ Christliche Nächstenliebe also, die nicht zulässt, manche Dinge schweigend hinzunehmen.
Ganz konkret sagt sie weiterhin: „Wenn Menschen in unserem Land andere Menschen herabsetzen, verachten und ausgrenzen, dann müssen Kirchenmitglieder widersprechen, weil alle Menschen
gleichermaßen von Gott geliebte Geschöpfe sind.“ Das ist eine klare Absage an gewisse Ideologien und ein Bekenntnis zu Pluralismus und Vielfalt.
Ist das also ein theologischer Grund, um gegen Rechtsextremismus zu sein? Für Ulrike Schimmelpfeng ganz klar. „Für Christinnen und Christen sind alle Menschen auf dieser Erde als Gottes
Ebenbilder von Gott gewollt und mit der gleichen Würde ausgestattet. Die rechtsextreme Haltung aber stellt die Gleichheit aller Menschen infrage.“
In Bezug auf die Nächstenliebe geht sie noch weiter und führt aus: „Jesus Christus hat Nächstenliebe gelebt, er hat sich kranken, behinderten und ausgegrenzten Menschen zugewandt. Im Rechtsextremismus hingegen wird Schwachheit verachtet. Jesus war Jude, für uns ist heute Gott sei Dank klar, dass jüdische Menschen unsere Geschwister im Glauben an den einen Gott sind. Rechtsextremismus aber steht für Antisemitismus.“
Diese Sichtweise ist nicht nur ihre subjektive. Sie zitiert die Barmer Theologische Erklärung von 1934, die zentrale theologische Äußerung der Bekennenden Kirche unter der nationalsozialistischen
Herrschaft, die sich gegen die falsche Theologie jenes Kirchenregimes wandte, das sich den Nationalsozialisten anglich.
„Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären...“, heißt es dort. Dazu führt die Superintendentin
heute aus: „Rechtsextremismus meint, wenn eine bestimmte Führungselite das Sagen hätte, der sich alle unterordnen würden, dann wäre alles besser – als Christinnen und Christen wissen wir uns aber
allein Gott als unserem Herrn verpflichtet.“
Für mich, der ich aus tiefer innerer Überzeugung an vielen dieser Demos momentan teilnehme und der ich noch tiefer von der christlichen Botschaft überzeugt bin, waren das interessante Statements. Beide Superintendenten lieferten mir ein Stück weit Begründungen für das, was ich zwar fühle, aber so vielleicht nicht hätte in Worte fassen können. Außerdem - und vielleicht ist das sogar noch wichtiger - zeigt es für mich aber auch, dass Kirche wichtig für unsere Gesellschaft ist, eben weil sie den moralischen Boden für vieles bereitet, worauf unser humanistisches Abendland aufgebaut ist.