Interview mit dem Niedersächsischen Verfassungsschutzpräsidenten Dirk Pejril
Dirk Pejril ist Präsident des Verfassungsschutzes in Niedersachsen. Privat kenne ich ihn schon lange, wollte auch schon immer mal ein Interview mit ihm machen. Vielleicht ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür.
Uns allen ist der Verfassungsschutz ein Begriff, aber was macht ihr eigentlich?
Jetzt stellst du mir eine Frage, die für die nächste halbe Stunde bis Stunde füllend wäre.
Ich würde dich bitten, es abzukürzen.
Mache ich gerne (lacht). Wir sind Teil der Exekutive, also nicht zu verwechseln mit dem Verfassungsgericht. Meine Behörde ist Teil des Innenministeriums. Wir sind mit unseren Befugnissen ganz
klar an Recht und Gesetz gebunden, das ist für uns die absolute Messlatte und Maßstab für die Überprüfbarkeit unserer Arbeit.
Ist der Bundesverfassungsschutz dem Bundesinnenministerium und der Niedersächsische Verfassungsschutz dem Landesinnenministerium untergeordnet?
Es ist wie bei der Polizei, Verfassungsschutz ist Ländersache. Jedes Land hat einen eigenen Verfassungsschutz. Und es gibt das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Behörden sind unterschiedlich
organisiert und alle haben ihre eigenen Gesetze und geregelte Zuständigkeiten.
Wir sind das Frühwarnsystem zum Schutz der Demokratie. Wir sind dafür da, die Lehren aus der Weimarer Republik zu ziehen. Wenn die Demokratie in Gefahr gerät, sind wir dazu da, frühzeitig den
Finger zu heben und die Politik, aber auch die Menschen im Land zu sensibilisieren. Wir sind kein Geheim-, wir sind ein Nachrichtendienst. Wir sammeln, analysieren und bewerten Informationen und
bereiten Sie für die Politik auf und machen sie öffentlich zugänglich.
Stichwort Demokratie schützen... glaubst du, dass sie im Moment in Gefahr ist?
Ja, ich glaube, wir haben vielleicht sogar die turbulenteste Zeit seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt momentan so viele Themen, die sozusagen auf die Demokratie einwirken, vom
Rechtsextremismus, Linksextremismus, bis hin zu islamistischen Anschlagsversuchen und Anschlägen oder antizionistische, antiisraelische Demonstrationen. All diese Themen sind
verfassungsschutzrelevant. Ich finde, wir haben eine besorgniserregende Zeit.
Aber viele der sogenannten Gefährder kennt ihr ziemlich gut, oder?
Handelnde Personen im Rechtsextremismus, Linksextremismus und auch Islamismus sind immer Thema bei uns, das Anschlagsrisiko ist abstrakt, aber weiterhin hoch. Wir wissen aber auch um
internationale Terrorgruppierungen, die nicht weg sind. Die sind bei uns ein Dauerthema. Die Gefahr radikalisierter Einzeltäter ist groß.
Wie beobachtet der deutsche Verfassungsschutz im Ausland Dinge, die für euch eventuell relevant werden?
Für die Beobachtung des ausländischen Terrorismus ist zunächst der Bundesnachrichtendienst zuständig, in enger Zusammenarbeit für deutsche Belange dann mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz.
Hier arbeiten die Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes sehr eng zusammen. Denn auch wir beobachten zum Beispiel beim Thema Spionage, insbesondere seit dem Angriffskrieg Putins auf die
Ukraine eine – ich will mal sagen – besorgniserregende Renaissance. Analog wie digital.
Das Digitale spielt eine immer größere Rolle, oder?
Na klar, Cyberspionage - Cyberabwehr sind ein großes Thema. Es bestehen aktuell vielerlei Bedrohungsszenarien für unser Land. Es sind gezielte Angriffe von staatlichen und nichtstaatlichen
Gruppierungen aus dem Ausland auf Privatleute, auch kleine Unternehmen, öffentliche Verwaltungen oder auch die Regierung.
Deutschland wird momentan heimgesucht von Desinformationskampagnen. Es geht dabei insbesondere darum, Politiker verächtlich zu machen und das Regierungshandeln zu diskreditieren. Es geht darum,
Vertrauen zu untergraben, die Menschen zu verunsichern und Menschen bösgläubig zu machen. Da werden die Ängste der Menschen mit Blick auf die Krisen unserer Zeit gezielt ausgenutzt.
Spielt KI für euch eine große Rolle?
Das ist ein Thema für die Strafverfolgungsbehörden und für die Sicherheitsbehörden, natürlich. KI schafft ganz andere Manipulationsmöglichkeiten. Aber auch im positiven Sinne entstehen umgekehrt
Möglichkeiten für die Behörden zur Analyse und Auswertung.
Wir müssen über zwei „Elefanten im Raum“ reden. Wie kann es passieren, dass ein ehemaliger Verfassungsschutzpräsident jetzt zum Beobachtungsfall wird?
Das kann ich nur schwer kommentieren, da ich Herrn Maaßen nie persönlich kennengelernt habe und dass alles vor meiner Zeit war. Und ich habe keine sachverhaltsbezogenen Informationen. Natürlich
bin ich auch irritiert über so eine Entwicklung, dass jemand, der in der Sicherheitsarchitektur Deutschlands eine herausragende Rolle spielte, sich dann in einer Art und Weise verhält, die ich
befremdlich finde. Ich finde es bedauerlich, weil es eben auch ein Imageverlust ist, nicht nur fürs Bundesamt, sondern auch insgesamt für die Frage: Was machen die Verfassungsschützer? Denn
nichts ist schlimmer, als wenn man denen, die unsere Verfassung schützen sollen, nicht mehr trauen kann.
Er ist ja jetzt jemand, der das Vertrauen untergräbt, indem er behauptet, die Ampel diktiere alles...
Oft wird mir gesagt, ich sei ja Teil der Exekutive und weisungsgebunden. Ja, ich bin ja auch Beamter. Aber ich bin natürlich an Recht und Gesetz gebunden und meine Mission, mein Auftrag ist,
immer danach zu handeln. Es gibt klare gesetzliche Regelungen für die Arbeit meiner Behörde, auch für die Ministerin, so dass eine Objektivität hergestellt wird. Da ist ein sehr, sehr hohes Maß
an Neutralität sichergestellt.
Der zweite „Elefant“ ist die AfD. Weshalb ist sie in manchen Ländern Verdachtsfall und in anderen gesichert rechtsextrem?
Weil sich die AfD auch unterschiedlich darstellt und verhält. Bei uns ist sie als sogenannter Verdachtsfall eingestuft, das ist die untere Stufe unserer Beobachtungsmöglichkeiten. Die AfD
Niedersachsen gibt sich aktuell gemäßigt, gleichwohl sind Kräfte aus dem sogenannten Flügel auch in Niedersachsen immer noch da. Der Flügel ist erwiesenermaßen rechtsextremistisch, hat sich
mittlerweile für aufgelöst erklärt, doch seine Ideologen agieren noch. Insgesamt tritt die AfD in Niedersachsen nicht ganz so offensichtlich rechtsextremistisch auf wie beispielsweise in
Thüringen unter der Leitung von Björn Höcke.
Aber heißt das nicht auch, dass ich unter dem Radar bleiben kann, wenn ich eure Regularien kenne?
Ja, das ist eine Situation, die wir auch im Blick haben. Klar ist ja, dass Menschen, die mal in einer extremistischen Gruppierung gewirkt haben, nicht aufhören, nur weil die Organisation nicht
mehr da ist, sich vordergründig aufgelöst hat. Das rechtsextremistische Gedankengut bestimmt ja auch weiterhin das Handeln.
Die Ehrung von Björn Höcke in Northeim beispielsweise ist für mich schon ein Zeichen, dass die gemäßigte Fassade das Transparent herunterlässt und die AfD Niedersachsen ihr wahres Gesicht blicken
lässt.
Wenn die AfD verboten werden sollte, macht euch das die Arbeit nicht viel schwerer?
Meist wird die Frage ja andersherum gestellt, warum die AfD nicht ganz schnell verboten wird. Ich finde es schon wichtig, da differenziert heranzugehen. Aus Sicht des Verfassungsschutzes ist es
unsere Aufgabe, in der aktuellen „Verdachtsphase“, be- und entlastende Informationen zu sammeln, um die Frage eines Parteienverbotsverfahren als schärfstes Schwert unserer Verfassung bewerten zu
können. Wir haben hier zunächst beratende Funktion gegenüber der Politik. Dazu zählt auch die Frage, welche Risiken und „Nebenwirkungen“ ein Verbot entfaltet. Ist damit die Ideologie, ist die
Wählerschaft auch verschwunden? Wie erreiche ich die Menschen, die einer solchen Partei nachgelaufen sind, um sie von einer demokratischen Politik und den Werten unserer Verfassung zu überzeugen?
Die schriftliche Version ist natürlich etwas gekürzt, deshalb habe ich euch ja auch die lange Version als Audiointerview zur Verfügung gestellt.