Normal neu denken

Warum es wichtig ist, mit Kindern über Rassismus zu reden

 

Ein Kind im Morgenkreis will nicht stillsitzen. Die Stimmung der Erzieherin ist angespannt, die der anderen Kinder auch. Mit dieser Szene konfrontierte der Diplom-Sozialpädagoge und Therapeut Klaus Kokemoor etwa 300 Mitarbeitenden eines Kindertagesstättenverbandes in Einbeck. Die Anspannung greift sogar auf sie über, da sie alle eine ähnliche Situation kennen.


Kurz darauf zeigt Kokemoor eine Szene, in der das Kind nun außerhalb des Kreises herumturnt, während alle anderen ganz normal ihrer Morgenroutine nachgehen. Der Kreis wurde sozusagen erweitert, neues Verhalten wurde integriert. Für die Kinder, so der Referent, ist es meist nicht schwer, anderes Verhalten zu akzeptieren, es wird für sie als Eigenheit normal, wenn wir als Erwachsene ruhig mit der Situation umgehen.


Noch einige weiterer solcher Fallbeispiele hatte Klaus Kokemoor auf Video mitgebracht, die er gemeinsam mit dem Auditorium analysierte. So berichtete er beispielsweise von Kindern, die anfangs um sich schlugen, später aber in die Gruppe integriert werden konnten, weil mit ihnen individuell, vielleicht unkonventionell, wertschätzend und akzeptierend umgegangen wurde.


„Wir gehören zu den Berufsgruppen, die nicht durch `ne KI ersetzt werden können“, machte er den Anwesenden auf humorvolle Weise Mut und lobte ihre manchmal schwierige, doch enorm wichtige Arbeit.

 

 

Einen zweiten Vortrag gab es von der Kulturwissenschaftlerin Olaolu Fajembola und der Entwicklungspsychologin Tebogo Nimindé-Dundadengar. Bei ihnen ging es um rassismuskritische Bildung und Möglichkeiten zur Förderung von Diversität in der frühkindlichen Erziehung, was vielleicht erst einmal nach einem ziemlich harten Brett klingt.


Allerdings schafften es auch die beiden Referentinnen, die zusammen Bücher zu dem Thema schreiben und einen Onlineshop für Spielzeug und Bücher für Kinder aller Herkünfte gründeten, ihre Zuhörer*innen mitzunehmen. Es war weniger ein Vortrag als ein gelenkter Austausch, zu dem sie aber etliche interessante Impulse beisteuerten.


Kinder machen keine Unterschiede, heißt es, stellte Tebogo Nimindé-Dundadengar in den Raum. Das stimme nicht, denn sie unterscheiden schon früh zwischen Unbekanntem und Bekanntem. Kinder haben keine Vorurteile, heißt es. Aber sie übernehmen sehr schnell Stereotypen und halten sie für normativ. Kinder lernen Vorurteile von den Eltern, heißt es. Nicht nur, denn auch Kinderbücher, Fernsehen etc. spielen dabei eine große Rolle.

 

 

Genau deshalb sei es so wichtig, dass schwarze Menschen in Geschichten nicht per se böse sind, dass versteckter Alltagsrassismus nicht (zum Teil unbewusst) medial reproduziert wird. Und das gilt natürlich ebenso für unser alltägliches Miteinander. Sie selbst habe es immer wieder erlebt, dass Menschen ihr ungefragt in die Haare fassen. Nicht einmal böse gemeint, aber definitiv nicht okay und insbesondere für Kinder ein Verhalten von Erwachsenen, das sie prägt.


„Wir finden es wichtig, das Wort Rassismus auszusprechen“, vertraten beide ihren Standpunkt. Zunächst müssten Erwachsene verstehen, was eigentlich rassistisch ist, bevor sie anschließend mit Kindern darüber reden. Das sei ohne weiteres möglich, denn Kinder haben ein starkes Gerechtigkeitsbedürfnis, so Olaolu Fajembola.


Eine Studie habe ergeben, dass aktuell vor allem muslimisch gelesene Familien mit negativen Verhaltensweisen stigmatisiert werden. Vieles davon werde aber nicht thematisiert und aufgearbeitet, was dann zu Verunsicherungen vieler Menschen und dazu führt, dass Children of Color in unserem Bildungssystem ungeachtet ihrer Leistungen abgestraft werden, und letztlich eben auch zu einem Erstarken rechtsextremer Parteien, wie wir es in den letzten Jahren erleben.

 

 

Während ich dort saß und mir Notizen für den Artikel machte, den ich für den Kirchenkreis darüber schreiben wollte, musste ich an ein Interview mit Ranga Yogeshwar denken, das ich mal geführt hatte. Damals noch für das Bollywoodmagazin ISHQ. Es war ein Telefoninterview, ich war aufgeregt, weil Ranga tatsächlich zugesagt hatte, und noch mehr, weil er sich echt Zeit nahm und offenbar gerne meine Fragen beantwortete. Na das wäre mal Stoff für eine eigene Geschichte.

 

Auf jeden Fall ging es in unserem Gespräch um die indischen Gesellschaftsstruktur und somit auch um das Kastensystem. Das will ich jetzt hier gar nicht erläutern, doch in Kurzform bedeutet es ja, dass Menschen traditionell in bestimmte Kasten hineingeboren werden, denen sie dann auch ihr Leben lang angehören. Und diese Kasten entscheiden über die gesellschaftliche Stellung und eben auch über die Chancen und Möglichkeiten, die jemand im Leben hat.

 

Nun zog Ranga Yogeshwar allerdings schnell Parallelen zu unserer Gesellschaft und machte mir dann sehr deutlich klar, dass es seiner Meinung nach auch bei uns ein solches System gebe, nur sei es eben von außen weniger sichtbar und greifbar. Der Sohn eines Arbeitslosen werde in unserer Gesellschaft nur selten Arzt, sagte er, weil schon in der Schule die Bildung und der Beruf der Eltern eine enorme Rolle spiele. Im Grunde seien die gesellschaftlichen Unterschiede bei uns sogar deutlicher als in Indien, das war seine klare Position.

 

Dieser Punkt ist mir immer im Gedächtnis geblieben. amals war ich ehrlich gesagt ein wenig schockiert, wollte es am liebsten von mir schieben. Je häufiger ich seine Aussage an der Realität maß, desto weniger konnte ich sie wegschieben. Sowohl in meinem Lwehramtsstudium als auch jetzt später im Leben als Journalist finde ich immer wieder Beispiele, dass unser Kastensystem sehr sehr starr ist. Daran musste ich beim Vortrag von Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar immer wieder denken und finde es daher so enorm wichtig, darüber zu schreiben.