Ist Demokratie zu woke?

Leipziger Buchmesse sorgte für scharfe Kritik aus rechten Bubbles

 

Die Leipziger Buchmesse ist mit 283 000 Besuchern auch in diesem Jahr wieder eines der größten Events für alle, die sich für Bücher interessieren. Dabei ist gerade diese Veranstaltung mit der angegliederten Manga-Comic-Con ein Schnittpunkt für sämtliche literarischen Genres und alle, die sich in diesem popkulturellen Kosmos wohlfühlen.


Letztlich ist das für mich auch ein Grund, jedes Jahr wieder nach Leipzig zu fahren: auf der emotionalen Ebene der bunte Trubel zwischen Büchern, Cosplay und vielem, was ich so mag, und auf einer übergeordneten eben auch dieser breit gefasste Literaturbegriff. Literatur ist hier nicht nur das, was wir damals im Deutschunterricht gelernt haben (in der Uni waren ja manchen Professoren selbst Krimis zu platt, um sie literaturwissenschaftlich ernst zu nehmen), sondern umfasst eben auch Bereiche wie Comic, Manga und große Teile der Popkultur.


Genau das ist nun mal auch meine Auffassung von Literatur, also eine inklusive, die alles umfasst, was von literarischen Erzählstrukturen geprägt ist, oder anders gesagt, alles, was damit zu tun hat, gute Geschichten zu erzählen. Da fallen dann auch Filme, Hörspiele und Videospiele rein, die letztlich ja auch nur akustische und optische Komponenten hinzufügen. Und gerade Cosplay ist meiner Ansicht nach aus eine Möglichkeit, sich mit literarischen Figuren auseinanderzusetzen, sie somit am Leben zu erhalten.

 

 

Diesen inklusiven Aspekt hat die Buchmesse bzw. der Börsenverein des Deutschen Buchhandels in diesem Jahr auch ganz deutlich gemacht. #DemokratieWählenJetzt lautete die Initiative, die auf demokratische Grundwerte wie die Menschenwürde, Freiheit und Toleranz hinweisen sollte.


Da die Literatur schon immer (größtenteils) für Offenheit, für Weiterentwicklung, für eine progressive Gesellschaft steht, ist es eigentlich nur logisch und konsequent. In den Zeiten, in denen wir leben, aber leider nicht für alle. Die Eröffnungsveranstaltung und damit die Initiative wurden von manchen Bubbles scharf kritisiert, natürlich vor allem im Netz.


So kommentierte die Welt-Journalistin Anna Schneider den Post des Börsenvereins mit „Fürchte, so mancher Grüne glaubt wirklich, er repräsentiere ‚Die Demokratie‘, auweh“. Ja, Frau Kollegin, Grüne, Autor*innen, Journalist*innen, Kulturschaffende, Leser*innen und überhaupt die Mehrheit der Bürger*innen glaubt das. Dass Sie sich daran stören, ist prinzipiell Ihre Sache, lässt aber doch einige Rückschlüsse zu.

 

 

Auch Jan Fleischhauer, einst Spiegel, jetzt Focus, ließ sich zu einer Äußerung hinreißen, eine, die mich ehrlich gesagt schockierte. „Man kann auch aus ästhetischen Gründen zum Demokratiefeind werde. Bin kurz davor“, schrieb er zu jenem Bild der Eröffnungsveranstaltung, auf dem alle im Saal Schilder mit „Demokratie wählen. Jetzt.“ hochhalten.


Sorry, aber aus ästhetischen Gründen zum Demokratiefeind werden, das ist sicher (hoffentlich) satirisch gemeint, aber alles andere als lustig. Wir sind also an einem Punkt angekommen, an dem es manchen Menschen zu woke ist, wenn andere sich zur Demokratie bekennen. Das macht mir wirklich Angst.

 

 

Klar, die Gräben in unserer Gesellschaft sind nahezu unüberwindlich, deshalb schreibe ich ja diesen Blog. Klar, es gibt unterschiedliche Auffassungen zu Politik, zu Moral und Ethik und und und. Und mir ist auch bewusst, dass gewissen rechten Bubbles nichts zu blöd ist, um gegen die Ampel, gegen Menschen mit Migrationshintergrund, gegen „die da oben“ und das System zu hetzen.


Aber dass der Ton inzwischen so scharf geworden ist, dass selbst Journalist*innen, denen ich eigentlich ein gewisses Maß an Weitsicht und auch Zurückhaltung zutraue, so eindeutig auf den Zug des Populismus aufspringen, so eindeutig Hetze betreiben, das ist eine Entwicklung, die mehr als bedenklich ist. Irgendwie möchte ich ihnen ja zugutehalten, dass sie sich nur als scharfe Mahner sehen, doch ihnen müsste auf jeden Fall bewusst sein, wo und wie ihre Aussagen verfangen.


Vielleicht ist es daher gerade jetzt wichtig, dass alle anderen zusammenstehen, dass wir uns auf die Bildung unserer jungen Generationen (und nicht nur der) fokussieren, dass die Literatur- und alle Kulturschaffenden noch lauter ihre Stimme erheben, dass wir als Mehrheit der Gesellschaft ganz unabhängig von Parteien und „denen da oben“ klarmachen, dass wir auch in Zukunft in einer Demokratie leben wollen. Weil alles andere nämlich erwiesenermaßen Scheiße ist.