Im multikulturellen Rössl
Bei „Himmelblau“ denken einige Jüngere vielleicht an Jay von PietSmiet und ein gewisses virales Video, nur wenige der Älteren kommen wahrscheinlich sofort auf „Die ganze Welt ist himmelblau“ aus dem Singspiel „Im weißen Rössl“ von 1930 oder die Verfilmung mit Peter Alexander aus 1960. Doch genau dieses Stück haben sich die stillen Hunde, die Göttinger Schauspieler Christoph Huber und Stefan Dehler, mit dem interkulturellen Bürgertheater aus Moringen vorgenommen.
Allzu ernst sollten die Zuschauer*innen all das bei der Premiere in der KGS Moringen aber besser nicht nehmen. Zwar ging es unverkennbar um die berühmte Herberge im Österreichischen Salzkammergut
und auch die Lieder stammten aus dem Lustspiel, doch einige Modernisierungen und manches Augenzwinkern gab es freilich - darüber bin ich sehr froh, denn es wäre sonst niemals das, was ich mir
freiwillig angucken würde.
Allem voran ist das, was diese Aufführung ausmacht, die Besetzung selbst. Die nämlich ist beim Bürgertheater mitnichten typisch österreichisch oder auch typisch deutsch, sondern international und
bunt - also im besten progressiven Sinne dann doch wieder typisch deutsch. Das Bürgertheater ist im Zuge der großen „Flüchtlingswellen“ als Integrationsprojekt entstanden, wurde von
Ehrenamtlichen angestoßen, damit diejenigen, die zu uns kamen und kaum Kontakte hatten, und diejenigen, die hier möglicherweise sogar Sorge vor allzu großen Veränderungen hatten oder eben
Willkommenskultur aktiv leben wollten, einander kennenlernen konnten.
Mit dem ersten Bürgertheaterprojekt wurde im Herbst 2016 begonnen, im Frühjahr 2017 hatte dann „Ein Sommernachtstraum“ – sehr frei nach Shakespeare und den noch recht überschaubaren Deutschkenntnissen einiger Darsteller angepasst – seine Premiere. Es folgten „Faust“, „Romeo und Julia“, „Der Diener zweier Herren“, „Der schönste Tag“ (als Freiluftaufführung im Moringer Stadtpark 2021 und 2022) sowie „Der Sturm“. Gefördert wird „Himmelblau“ jetzt vom Bundesprogramm „Demokratie Leben!“, von der Kultur- und Denkmalstiftung Landkreis Northeim, der AKB Stiftung, der Lotto-Sport-Stiftung sowie dem Landschaftsverband Südniedersachsen.
Einige aus dem Ensemble sind von Beginn an dabei, andere kamen hinzu, auf jeden Fall kommt „Himmelblau“ durchaus textlastig und mit einem Fokus auf Wortwitze daher. „Ein Drittel der Mitwirkenden
waren immer Jugendliche, knapp die Hälte der gesamten Gruppe Menschen mit einer aktuellen Migrationsgeschichte“, sagt Stefan Dehler. Das wirklich extrem gemischte Team hat sich also eingespielt,
ist zusammengewachsen, und nicht nur das, das Bürgertheater ist auch zu einer Institution in Moringen geworden, wie das große Publikum und insgesamt vier Aufführungen beweisen.
Absolut zu Recht. Schauspielerisch wie musikalisch muss sich die Aufführung absolut nicht verstecken, die internationale Besetzung hat dazu ihren eigenen Reiz und zieht ja auch ebenso multikulturelles Publikum in dieses Stück, das vermutlich den wenigsten noch bekannt ist. Es ist somit ein deutliches Zeichen, wie Integration gelingt, nämlich nur durch persönlichen Kontakt, durch Austausch, durch gemeinsame Projekte und eben am Ende auch durch gemeinsamen Spaß an etwas.
Nach „Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein“, „Was kann der Sigismund dafür, daß er so schön ist?“ und etlichen amourösen Irrungen und Wirrungen fiel an diesem Premierenabend der letzte
Vorhang. Der Applaus hielt noch lange an und die Schauspieler*innen mischten sich glücklich unter ihr Publikum.
Für mich selbst endete der Abend als Pressevertreter hier, ich quatschte noch kurz mit den stillen Hunden, die ja auch schon bei unserem Mordsharz-Festival mit dabei waren, dann machte ich mich mit dem Kopf voller Gedanken auf den Heimweg. Im Auto kamen mir viele Erinnerungen an die erste Zeit mit F. und D. und ihren Kindern. Wie sie unsere deutsche Kultur kennenlernen wollten.
Sie hatten sich von Anfang an auf vieles eingelassen, wohin ich sie mitschleppte. Einmal auf einer längeren Autofahrt hatte D. eine Andrea Berg-CD eingelegt, um mir eine Freude zu machen. Ja, er konnte ja nicht ahnen, dass ich seine syrische Musik, die sonst oft lief, viel lieber mag als deutschen Schlager. Aber er erzählte so stolz davon, wie er durch die Songtexte auf dem Weg zur Arbeit noch versuche besser Deutsch zu lernen, dass ich doch davon absah, die CD aus dem Fenster zu werfen.
Dieses Theaterprojekt sorgte bei allen, die teilnahmen, vermutlich für ganz ähnliche Erinnerungen. Für gegenseitiges Verständnis, für Respekt und für Zusammenwachsen. Das ist es nun mal, was
unsere Gesellschaft so dringend braucht. Persönliche Kontakte und Freundschaften und daraus resultierend irgendwann eine gemeinsame Kultur, die für nostalgische Gefühle sorgt.
Diese Gedanken versöhnten mich an diesem Abend mit einem Stück, das ich mir freiwillig vermutlich nie angesehen hätte, mit Musik, die absolut nicht meine ist. Weil ich die Hoffnung habe, dass
solche Projekte dafür stehen, wie wir miteinander umgehen, für eine Weltoffenheit und für Vielfalt. Und eben auch dafür, dass das, was einige als „Leitkultur“ bezeichnen, bunt durchmischt und
endlich aus dem verklärten Gestern geholt wird.