Vielleicht doch Mr. Nice Guy?

Alice Cooper und die Kraft des Rock

 

Als wir noch Schüler waren, verboten uns unsere Eltern die Musik von Alice Cooper. Meine zumindest; das ist wohl der Preis, wenn du in einem fundamentalistisch christlichen Elternhaus aufwächst. Spiele man seine Platten rückwärts ab, könne man satanische Botschaften empfangen, warnten sie, zudem sei das, was er auf der Bühne abziehe, widerwärtig und außerdem trinke er das Blut von Kindern im Keller einer New Yorker Pizzeria. Ach nee, letzteres war eine andere Verschwörungserzählung.


Nun ja, für uns gilt heute School’s out forever, längst sind wir selbst die Alten, doch immerhin gehört die Musik von Alice Cooper nicht mehr als Poison in den Giftschrank, er tritt sogar auf der Northeimer Waldbühne auf, einer 7000 Menschen fassenden malerisch von alten Bäumen umgebenen Anlage hier in der südniedersächsischen Provinz. Nun gut, so sehr schocken wie in den 70ern, dass soziale Netzwerke sich darüber ereifern, kann er vielleicht nicht mehr, dazu müsste er schon in Sachsen seine Solidarität mit der Ukraine bekennen wie sein drei Jahre älterer Kollege Rod Stewart.


Doch der 76-Jährige rockt die Bühnen auf seiner „Too close for comfort“-Tour noch immer. Dass er nicht mehr eighteen ist, fällt kaum auf. Vor einigen Monaten bei Bonnie Tyler in Berlin hatte ich noch Angst, das Alter könne die Stimme in die Eclipse verbannt haben und somit die ganze Show beeinträchtigen. Auch Bonnie Tyler ist mittlerweile über 70, gut, sie hat bei manchen Passagen nicht mehr ganz die Power von früher, doch mit neuen Arrangements und für mich spannenden Versionen der alten Stücke. Kurzum, für mich war sie auf der Bühne noch immer ein Hero (wer hier gendern mag, soll es tun).

 

 

Alice Cooper war ja wie gesagt noch nie Mr Nice Guy, doch sein musikalisches Werk kenne ich längst nicht so gut, so dass ich mich mit deutlich weniger ängstlichen Gedanken auf das Konzert einlasse. Ich weiß immerhin, dass seine Bühnenshow wie schon vor über 50 Jahren von Horror-Showelementen durchzogen ist, allein das ist ein guter Grund.


Er heißt seine Fans nach wie vor in seinem Nightmare willkommen, in dem durchaus mal eine Puppe gequält, Paparazzi oder junge Frauen um die Ecke gebracht werden, Frankenstein seinen ganz großen Auftritt hat und Cooper selbst in eine Zwangsjacke gepfercht wird, am Ende durch die Guillotine stirbt und aus der Hölle wieder aufersteht.


Das ist es also, wovor unsere Eltern uns früher gewarnt haben. (Ehrlich gesagt bin ich vor allem überrascht, wie viele Songs von Alice Cooper ich dann doch kenne.) Wovon sie fürchteten, wir könnten es vielleicht nachmachen. Nun gut, heute schreibe ich Horrorgeschichten, doch bezweifle ich, dass daran Alice Cooper schuld ist und Rockmusik sicher nur zum Teil. Allerdings bin ich auch fest davon überzeugt, dass es kein schlechter Einfluss ist.


Das, was Alice Cooper und seine Band da auf der Bühne abziehen, ist eine gut gemachte Show mit theatralischen und überwiegend mechanischen Effekten, die immer noch ziehen, immer noch typisch für den bösen Rocker, als der er sich inszeniert, sind, aber dabei auch irgendwie liebenswert. The Man Behind the Mask ist eben ein exaltierter und leidenschaftlicher Entertainer, privat Sohn eines Pastors, Familienvater und Großvater, kurz vor seiner goldenen Hochzeit. Und er ist nach wie vor ein großer Musiker.

 

 

Daher schafft er es auch, dass jene, die seine Musik damals heimlich hörten, heute zum Teil ihre Kinder mit zur Show bringen und lässt seine eigenen Kinder in Rollen eben dieser schlüpfen. Rock ist die Musik, die Generationen verbindet, wenn Alice auf der Bühne „Hey“ ruft, brüllen ihm Tausende gemeinsam „Stoopid“ entgegen. Er zieht durch, ist nicht lost in America oder in Northeim, sondern bietet viel für Ohr und Auge.


Die großartige Kulisse der Waldbühne ist dafür im Grunde der perfekte Ort. Kein anonymes Stadion, sondern trotz voller Ränge irgendwie heimelig und der Kontrast zum Horror. Am Ende bringt der Rockstar ein Medley aus „School’s Out“ und Pink Floyds „Another Brick in the Wall“ und läutet damit zum einen ganz klar die Sommerferien ein und macht zum anderen deutlich, wie zeitlos und universell Rockmusik seit Jahrzehnten in unserer Gesellschaft und weltweit ist.


Seit Jahrzehnten bricht sie mit Normen, hinterfragt Strukturen, tut genau das, was Kunst immer schon getan hat und auch tun soll. Dass wir Menschen uns vor einer Bühne versammeln, um gemeinsam Kultur zu erleben, ist auch ein Stück weit das, was uns als Menschheit ausmacht. Das würde nicht funktionieren, wenn Kunst immer nur Ideale abbildet, bin ich überzeugt, sie muss auch ein Stück weit gesellschaftskritisch sein.


Ob ich Alice Cooper, Bonnie Tyler oder Rod Stewart heute noch als explizit gesellschaftskritisch bezeichnen würde, weiß ich nicht genau. Die Show, die ich zu sehen bekomme, ist aber auf jeden Fall provokant und reißt mich musikalisch mit. So wie alle anderen hier. Mehrere tausend Menschen fühlen sich vor der Bühne vereint, spüren Gemeinschaft. Und das ist eben die andere Facette, die Kultur auszeichnet.