Für Toleranz, für Minderheiten, für alle

CSD in der Kleinstadt

 

In Herzberg wurde der erste CSD gefeiert. In einer Kleinstadt im Südharz. Aber ist dieser ganze queere Lifestyle und überhaupt LGBTQIA+ nicht eher was für Großstädte? Nun ja, laut Statistik sind etwa elf Prozent der Deutschen queer, das wären allein in Herzberg mit etwa 12000 Einwohnern immerhin mehr als 1000 Menschen. Und zugegeben, hier im Südharz sind die öffentlich weitestgehend unsichtbar.


Das Jugendforum Harzland hatte die Idee und setzte sie in die Tat um, als Zeichen für Toleranz und um (insbesondere jungen) queeren Menschen aus der Region zu zeigen, dass sie nicht allein sind. „Wir wollten was für alle machen“, erklärt Annika Beushausen die Motivation der Jugendlichen für dieses Event. Als Veranstaltungsort war zunächst Osterode angedacht, auf dem Kornmarkt ist es allerdings wegen des Wochenmarktes am Samstag nicht möglich, vor der Stadthalle wäre das Budget zu hoch gewesen. Seitens der Stadt Herzberg gab es Unterstützung, ebenso von der Jugendpflege und anderen.

 

 

Doch natürlich gab es bereits im Vorfeld auch Kritik. Es seien „Bekloppte“ einer Minderheit, die „dumm rumhüpfen und unbedingt anderen ihre Neigung zeigen müssen“, hieß es beispielsweise auf den Social Media-Kanälen des Eseltreiber unter der Ankündigung. Andere bedauerten die Anwohner und Tiere am Juessee. Daher habe das Jugendforum ein Umweltkonzept erarbeitet, wohlgemerkt für einen See, an dem schon immer Veranstaltungen stattfinden und an dem auch das Freibad liegt.


Zeigen nicht allein solche Diskussionen schon, warum ein CSD auch und gerade in der Provinz wichtig ist? Alles begann dann mit der Parade am Ufer des Sees, bevor auf der Bühne auf dem Skaterplatz einige Redner zu Wort kamen. Sabine Eckstein von den Omas gegen Rechts schlug eine Brücke zu den Olympischen Spielen in Paris und empörte sich darüber, dass dort ausufernd über das Geschlecht einer Boxerin diskutiert wird. Wir müssten endlich akzeptieren, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, sagte sie.


Die Landtagsabgeordnete Pippa Schneider plädierte für „queere Sichtbarkeit“, betonte, wie schwer es Jugendliche im ländlichen Raum immer noch haben und machte deutlich, dass solches Engagement für Toleranz auch wichtig sei, um sich dem gesellschaftlichen Rechtsruck entgegenzustellen. Alexander Saade, ebenfalls Landtagsabgeordneter, erinnerte an den ersten CSD, also den Aufstand in der New Yorker Christopher Street gegen Polizeiwillkür gegenüber queeren Minderheiten. „Die Community hat es nach wie vor schwer“, stellte er fest, „es ist noch ein weiter Weg zu wirklicher Gleichberechtigung.“ Und Mats Müller, Jusos Göttingen, erinnerte daran, dass nur 38 von etwa 200 Ländern weltweit die gleichgeschlechtliche Ehe anerkannt haben, wir also an „verklemmten Weltbildern“ arbeiten müssen.

 

 

Alles andere als verklemmt war es dann an schließend beim Zumba und später bei Livemusik von „Wasted Origin“ aus Einbeck und „MandelKokainSchnapps“ aus Berlin. Es war ein ausgelassenes Fest der Lebensfreude, der Toleranz, der gegenseitigen Achtung – auch und insbesondere für Menschen, die eben anders leben und lieben als man selbst. Das zu respektieren tat niemandem weh, ganz im Gegenteil, es macht unsere Gesellschaft bunter und durch die Akzeptanz von Vielfalt gelassener, fröhlicher, vielfältiger.


Der erste CSD in Herzberg war ein Zeichen dafür, dass Jugendliche auch im ländlichen Raum eine Gesellschaft wünschen, die offen ist, die sich Unbekanntem nicht aus Prinzip in den Weg stellt, die Menschen achtet, die andere Lebensentwürfe hat als den eigenen. Dass genau das heute aber immer noch (oder sogar wieder mehr) angefeindet, zeigt auch, dass wir die Gesellschaft, in der wir leben wollen, selbst gestalten müssen. Toleranz von Minderheiten ist niemals selbstverständlich, sondern immer eine soziale und ethische Herausforderung.

 

Update:

Inzwischen habe ich mich ein wenig auf Facebook umgesehen und etliche Kommentare zum CSD im Südharz entdeckt. So schrieb jemand: "Sollen die machen, was sie wollen, Hauptsache sie bleiben unter sich, lassen uns in Ruhe und versuchen nicht den großen Teil des Volkes zu missionieren." Na immerhin ein wenig Toleranz. Bei anderen sieht das anders aus. "Mittlerweile besteht das Leben nur noch aus Toleranz. Man muss alles tolerieren, auch wenn es nicht zur eigenen Lebenseinstellung passt, weil die Betroffenen zu intolerant sind, andere Meinungen zu tolerieren. Tolle neue Welt", schrieb jemand anderes und ich bin mir nicht sicher, was ich ihm darauf antworten würde.

 

Dafür gibt es ja andere, die sich exakt mit Toleranz auseinandersetzten. "Denen ihr Problem ist es, dass Toleranz nur für ihresgleichen gilt. Dann lieber Null Toleranz allem gegenüber." Auch das macht mich sprachlos, doch es kam noch expliziter. "Für mich ist das erzwungene Toleranz ganz knapp an Terror", behauptet jemand, während jemand anderes wohl witzig sein wollte und meint: "Kann man CSD mit Corona vergleichen, breitet sich rasend schnell aus und gibt es dagegen schon einen Impfstoff?"

 

Natürlich wird es auch politisch, denn jemand ist überzeugt: "Wird wohl auch wieder eine Anti AfD Feier gewesen sein." Es ist also nicht jene Partei, die sich offen gegen Toleranz und Vielfalt stellt, nein es sind Toleranz und Vielfalt, die gegen die AfD sind. Ein bekanntes Muster in deren Argumentation, kennt man ja nicht anders. Ganz sicher nicht von Sympathisanten der AfD kam allerdings ein letzter Kommentar, der eben auch wirklich das Letzte ist: "Das sind entartete Menschen."