Letzte Bastion der Menschlichkeit

Warum wir die Kirche brauchen - vielleicht nötiger denn je - Teil 1

 

Gerade ist eine Predigt in aller Munde, mit der eine Bischöfin einen despotischen Machthaber zu Barmherzigkeit aufruft. Mariann Edgar Budde von der Episkopalkirche der Vereinigten Staaten von Amerika sprach Präsident Donald Trump beim Gottesdienst zu seiner Amtseinführung direkt an und machte deutlich, dass viele Menschen nun Angst um ihre Freiheiten haben. Die Reaktion darauf war unter anderem die Forderung des republikanischen Kongressabgeordnete Mike Collins die Bischöfin nun „auf die Abschiebeliste“ zu setzen.

 

Doch Kirche braucht solche mahnenenden Stimmen. Kirche braucht solche Geistlichen, die sich nicht einer Herrschaft beugen, sondern ihr ins Gewissen reden.
Das war sogar schon zu biblischen Zeiten so und ist heute alles andere als überholt. Dass Mariann Edgar Budde dabei sehr klare Worte fand, aber dennoch respektvoll blieb, unterstreicht ihre Botschaft noch, finde ich. Vielen Machtmenschen, die sich auf die Bibel berufen, waren christliche Inhalte letztlich zu woke. Als jemand, der für die Kirche schreibt, motiviert mich das nur umso mehr, genau diese Bekenntnisse zur Nächstenliebe, zur Toleranz und zur Absage an Despoten weiter zu verbreiten.

 

Wenn ich mir eine Kirche wünschen darf, dann ist es eine, die lebendig ist, in der Menschen einander begegnen. Eine, die Spaß macht, die nicht im Alten verhaftet, sondern Neues wagt. Eine Kirche, die auf dem Fundament des Glaubens etwas aufbaut, das uns Hoffnung und Kraft und die Gewissheit der Liebe Gottes schenkt. Eine Kirche, die uns in Nächstenliebe miteinander verbindet und die auch zu gesellschaftlichen Dingen nicht schweigt. Genau diese Kirche darf ich durch meine Arbeit immer wieder erleben. Das möchte ich euch an drei Beispielen aus den letzten Tagen deutlich machen.

 

 

Das erste Beispiel bezieht sich auf ein Event mit dem klingenden Titel "Alle an einem Tisch". Hier ist der Pressetext:

 

Die Kirche sollte zu einem offenen Treffpunkt für alle werden. Ein gemeinsames Mittagessen, auch für diejenigen, die sonst allein sind oder sich nur schwer eine warme Mahlzeit leisten können. Livemusik, die zeigt, wie viel Kultur das Harzer Land zu bieten hat. Vor allem aber Gemeinschaft und Miteinander, die zum Kern christlichen Glaubens gehören. Spoiler: Das Vorhaben ist mehr als gelungen.


Von Donnerstag bis Sonntag war die Schlosskirche in Osterode geöffnet und hatte ein buntes Programm auf die Beine gestellt. Das sprach sich offenbar rum, denn es wurden immer mehr Menschen, die sehen wollten, was dort eigentlich los war. Dank enger Vernetzung in der Region griff alles ineinander, verschiedene Akteure trugen zum Gelingen bei. Das fing an beim Organisationsteam über die Musiker, die Technik, die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer und alle, die irgendwo mit anpackten.


Dieser Geist übertrugt sich ganz offensichtlich auch auf die Gäste. Viele nahmen sich Zeit für Gespräche, natürlich für das Essen und für die Musik. Am Samstag spielte die Family Band von Lingen, die mit Pastor Gerhard von Lingen in Osterode eine lange kirchliche Geschichte hat und diese in ihrer Musik lebt und erzählt. Ob nun einfach nur als wohlklingende Hintergrundkulisse oder aber zum Zuhören bei vielsagenden Texten, blieb jedem selbst überlassen.

 

 

Genau diese Ungezwungenheit, die aber viele intensive Begegnungen und Gespräche ermöglichte, machte die Vesperkirche aus. Das sah auch der Präsident des Landeskirchenamtes in Hannover, Dr. Jens Lehmann, so. „Es ist ein anderes Bild von Kirche“, sagte er, und bezog das sowohl auf die ungewöhnliche Sitzordnung als auch auf Inhaltliches. Ein modernes Bild von Kirche, ein gemeinschaftliches. Kirche verbindet, nahm er als Erkenntnis mit, verbindet Menschen aller Altersklassen, aller sozialen Schichten und sogar über Religionsgemeinschaften hinaus.


Dass das im Harz möglich ist, erzähle der Jurist und Verwaltungsexperte aus Pöhlde, den viele auch durch das Diakonische Werk kennen, Kolleginnen und Kollegen in Hannover schon lange. Die Vesperkirche ist für ihn ein weiterer Beweis dafür. Und ja, es war eine lebendige Kirche, eine, die sich um die Menschen drehte, eine, die sich öffnet und dadurch zu einem Safe Space für viele wird. „Alle an einem Tisch – Vielfalt unterm Kirchendach“ wurde durch diese Veranstaltung Wirklichkeit und setzte somit ein kirchliches, aber auch gesellschaftliches Zeichen.

 

Fortsetzung folgt...