Warum eine Brandmauer so wichtig ist
Eigentlich war es Neugier, die uns vor zehn Jahren bewogen hat, uns als Paten für Geflüchtete in Osterode zur Verfügung zu stellen. Neugier darauf, wer diese Menschen sind, die zu uns kommen und was sie wohl brauchen, wenn sie sich hier ein neues Leben aufbauen wollen. Ein ziemlich naiver Grund, um in die Flüchtlingshilfe einzusteigen? Ja, auf jeden Fall.
Das merkten wir schnell, als wir beauftragt wurden, einer jungen Familie aus Syrien mit drei kleinen Kindern bei diesen ersten Schritten in einer für sie ganz neuen Welt zu begleiten. Wir zogen
los, um Bankkonten einzurichten, Möbel zu kaufen, die Erwachsenen beim ersten Sprachkurs und die Kinder im Kindergarten und in der Schule anzumelden. Außerdem ging es um ganz kleine Dinge, wo sie
in Osterode was kaufen konnten, von wo Busse abfuhren, wie das in Deutschland mit der Müllabfuhr läuft und und und.
Es waren turbulente, aber spannende erste Wochen. Schnell wurde mir klar, dass Integration eben nicht von allein passiert, sondern dass wir hier vor Ort Menschen brauchen, die bereit sind,
diejenigen, die zu uns kommen, zu integrieren, da es für Deutschland nun einmal keine Gebrauchsanleitung gibt. Letztere begann in dann selbst zu schreiben, also meine Erlebnisse und Erfahrungen
in einem Blog im Internet zu dokumentieren. Wenn ich heute auf www.gebrauchsanleitung-deutschland.de gucke, muss ich über vieles schmunzeln.

Das sahen und sehen nicht alle Menschen so. Zwar habe ich in jener Zeit viel Unterstützung von hilfsbereiten Menschen hier erlebt, allen voran die Ehepaare Augat und Maniatis, die uns Paten koordinierten und uns wiederum halfen, wenn wir mit unseren Familien nicht weiterkamen. Ebenso wurde ich zum Teil aber auch für das, was ich tat bzw. was ich veröffentlichte, angefeindet.
In den folgenden Jahren habe ich erlebt, dass „Gutmensch“ auch ein Schimpfwort sein kann und dass sich entlang der Diskussion um Asylrecht und Hilfe für Geflüchtete tiefe Gräben durch unsere
Gesellschaft (und sogar durch die eigene Familie) ziehen. Es gab viele, die Angst hatten, vor dem, was sich durch Migranten bei uns verändern könnte, und es gab einige, die diese diffusen Ängste
bewusst nutzten, um populistische, rechte Politik zu machen.
„Unsere“ Flüchtlingsfamilie hat sich hier inzwischen ein neues, sicheres Leben aufgebaut, erwirtschaftet eigenes Geld, die Kinder sind ebenso deutsch, wie sie kurdisch sind. Sie alle sind
dankbar, dass Deutschland ihnen diese Chance gab, die sie als Kurden in Syrien niemals hatten.
Damit das möglich ist, brauchte es einen rechtlichen, einen rechtsstaatlichen, einen demokratischen Rahmen. Wenn ich auch in den vergangenen zehn Jahren oft auf unflexible Behörden etc.
geschimpft habe, so war ich immer sicher, dass unsere Gebrauchsanleitung für Deutschland eine sozusagen im Sinne des Herstellers war.

Inzwischen aber bin ich mir dessen nicht mehr sicher. Inzwischen weiß ich nicht mehr, ob es nur noch der rechte Rand ist, der Migranten zu willkommenen Sündenböcken macht. Inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher, ob wir wirklich in jener offenen Gesellschaft leben, die wir uns wünschten.
Die Kirche, für die ich aus tiefer Überzeugung arbeite, sah sich genötigt, eine der stärksten Parteien unseres Landes ebenso zur Barmherzigkeit zu ermahnen wie Bischöfin Mariann Edgar Budde
Donald Trump zu dessen Amtsantritt. Spätestens das ist für mich ein Zeichen, dass jene Brandmauer, die auch mir Sicherheit vermittelte, wankt.
Nein, Gräben tun unserer Gesellschaft nicht gut. Aber sie in Richtung der Extremisten zu überschreiten, darf nicht der Weg sein. Es darf nicht der Weg sein, Antidemokraten ins politische Kalkül
einzubeziehen, um ein gewünschtes Ergebnis zu erreichen und es darf auch nicht der Weg sein, die Sorgen aufgehetzter und zum Teil hasserfüllter Menschen ernster zu nehmen als die der sogenannten
Gutmenschen, die sich in diesem Land ein tolerantes, demokratisches, vielfältiges Miteinander aller wünschen. Dadurch fühle ich mich in diesem Land nicht mehr sicher und ich kenne mindestens eine
Familie, die das noch viel deutlicher verspürt.